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654 Psych. Stud. XLI. Jahrg. 11. u. 12 Heft- (Nov.-Dez. 1914.)
strebungen zu kennzeichnen. Die meisten „Theosophen" sind reine
Theoretiker oder sie treiben bloß Metaphysik, während unsere Zeit
vielmehr verlangt, daß man die Ergebnisse okkulter Forschung
auch allmählich der Gesamtheit zugute kommen läßt. Wir sollen
auch nicht bloß die Inder beachten, wie man es seither getan
hat und auch Hartmann noch wünschte, vielmehr das, was der
christlich-germanische Kulturkreis geschaffen hat, besonders in der
katholischen Kirche, sollen wir, soweit es gut ist, nicht bloß gelten
lassen, sondern aufnehmen t>nd weiter entwickeln. Ein Hinweis
auf das Gralsrittertum, das ja durch die Freigabe „Parsifais*
jetzt in weiteren Kreisen bekannt geworden ist, ist da gewiß am
Platze. Das deutsche Volk hat eine zentiaie Lage und eine zentrale
Kultur, insofern es alles aufgenommen hat, was zur geistigen Förderung
bisher gegeben war. Was noch fehlt, ist die Ausschürfung
gewisser orientalischer Mysterien Weisheit, die immer mehr bekannt
wird. Wer mein Buch mit Konzentration liest, dem wird vieles auf
diesem Gebiete sicher klar, was ihm seither verborgen war. Wer
die moralischen Betrachtungen in sich verarbeitet, macht gewiß
Fortschritte. Der „Okkultismus* muß aufhören verborgen zu
bleiben. Denn wie die Sonne siegreich durch die Wolken bricht,
so soll das Licht der Wahrheit strahlen und die Welt erleichtern.
Die mächtige Gestalt des Prometheus habe ich in den Mittelpunkt
meines Werkes gestellt. Jeder aber wird zum Prometheus,
der andern das Licht bringt. Dazu zu erziehen, Lichtbringer
der Menschheit zu sein, sollte unsere hehrste Aufgabe sein
in dei modernen okkultistisch-tneosophischen Bewegung.
Dr. Grave)].
K. Brandler-Pracht, Unterrichtsbriefe zur Entwickeiung der Willenskraft
und der okkulten Fähigkeiten. 10 Hefte in Knoten. Verlag
Vollrath-Leipzig.
Dieses auf neupsychologischer und altindischer Grundlage aufgebaute
System kann mit großem Nutzen gelesen und angewendet
werden. Natürlich muß man viel Zeit zur Verfügung haben, wenn
man alles systematisch betreiben will, noch mehr Geduld. Mit
allem braucht man nicht gerade einverstanden zu sein. So kann
man nicht gut sagen, daß die Scheere eine Seele habe, so wenig
wie sie ein „astrales* Dasein hat. Der „Scheere* der Seele würde
vielleicht eher allenfalls das .universale in re* der Scholastiker
entsprechen. Der „Odmantel«, von dem gesprochen wird, d. h. die
Schutzhülle für den Körper, ist zunächst nur „ätherisch", nicht
psychisch. Man müßte genauer zwischen den verschiedenen Ebenen
unterscheiden. Am besten würde man tun, wenn man sich auf
höhere Ebenen begeben würde, wie es die Katholiken mit Maria
tun, die ja auch darum beten, daß Maria ihren Mantel um sie
breite. Im vierten Brief wird behauptet, daß das Übel, das uns
trifft, stets von uns verschuldet sei. Allein dies trifft doch nicht
immer zu. Abgesehen von ungünstigem Karnfa (z. B. beim Kaiser
von Österreich) kann doch auch ein guter Mensch Prüfungen zu
erdulden haben. Die ersten Christen, die Märtyrer, hatten doch
keine Schuld. Bei Behandlung des Verkehrs zwischen beiden Geschlechtern
hätte darauf hingewiesen werden können, daß eine
starke Verödung von günstigen Folgen begleitet sein kann,
wenn ein negativer Mann von einem positiven Weibe Od durch
Ausstrahlung empfängt, ähnlich wie es die Schlußszene des zweiten
Aktes bei Tristan und Isolde darstellt. Gerade in Zukunft wird
man vielleicht das Weib wesentlich dazu erziehen, daß es als Od-
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