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Kaindl: Per discordiam ad cowcordiam
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Urbeginn an immanenten Schöpfungstriebes, der um sich ewig
genug tun zu können und Raum für neues Schaffen zu gewinnen,
als eine notwendige Folge die Zerstörung nach sich zöge. —
Der mitfühlende Mensch ist auch sehr geneigt im Hinblick auf
das namenlose Elend, wie es eine solche Katastrophe mit sich
bringt, Gott anzuklagen, und er mag sich mit dem Dichter sagen:
„0 Freund, sei bis zum Tod betrübt,
Daß du so dumm warst und geliebt,
Wie es dein Glaube dir geboten,
Den ungeheuren Urdespoten."
Da solche durch Gefühlsausbrüche veranlaßte Gedankengänge
, die stets in Negationen enden und die Weltenschöpfung
zu eher Art Fehlgeburt, zu einem Pfuschwerk erniedrigen würden
, weder Vernunft noch Gemüt auf die Dauer zu befriedigen
vermögen, so wird man trachten müssen, wieder festen Boden
zu gewinnen, indem man sich auf den Standpunkt des Kausalitätsgesetzes
stellt, und von diesem aus das welterschütternde Ereignis
betrachtet und beurteilt.
Nach diesem ist dieser Weitkrieg das Endglied einer schier
endlosen Kette von Ursachen und Wirkungen, ein Ereignis, das
notwendig eintreten mußte, als die Bedingungen dafür vorhanden
waren. Wir haben es demnach mit einer Tatsache der natürlichen
Entwicklung zu tun, mit einem gesetzmäßigen Resultat
derselben.
Die erzeugenden Bedingungen müssen solchen Wirkungen
entsprechen und man hat ihren eigentlichen Ursprung in einem
unvollkommenen Entwicklungszustand der Menschheit zu suchen,
in dem rohe Selbstsucht herrscht und sich in reaktionären Institutionen
verkörpert. Eine Menschheit, welche ein in den niederen
Bereichen der Natur wirksames Gesetz, den brutalen „Kampf
ums Dasein'* skrupellos zur allein maßgebenden Lebensnorm erwählt
; ein Geschlecht, das aus purer Eigenliebe die allerentsetz-
lichsten Grausamkeiten der Vivisektion stillschweigend duldet,
charakterisiert sich dadurch selbst als moralisch unentwickelt und
man kann von einer Menschheit, welche derartige Gesinnungen
hegt, füglich nicht erwarten, daß Nächstenliebe oder Friedensliebe
sie beseelt.
„— Der Teufel ist ein Egoist
Und tut nicht leicht um Gottes Willen
Was einem Andern nützlich ist.'* 2)
2) Der bekannte königl. preuß. Sanitätsrat Dr. Heinr. Bruno
Schindler spricht schon in seinem im Jahre 1857 erschienenen
Werke „Das magische Geistesleben" von Symptomen eines sozialen
Zersetzungsprozesses. „Da wird* denen," sagt er darin, „welche die
Zeichen der Zeit beherzigen, gar unheimlich zu Mute, und es darf
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