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Kaindl: Über wahre und falsche Moral. 25
fruchtbaren Entwicklung schließlich einen so diabolischen Charakter
an, daß sich die Welt in ihrer Wissensbeschränktheit bemüßigt
sieht, hinsichtlich des Ursprungs dieser Übel die Existenz
eines gewissen dunklen, geheimnisvollen Wesens, — des Teufels
anzunehmen." —
Jeder, welcher sein Denkvermögen noch selbständig zu gebrauchen
versteht, wird zugeben müssen, daß der intuitive Blick
dieser beiden amerikanischen Autodidakten tiefer in das wahre
Wesen der Entwicklung und ihrer Gesetze eingedrungen ist, als
die Gelehrtenbrille der Naturalisten, die von ihrer eigenen
Natur so oberflächliche Kenntnisse besitzen, daß sie sich bemüßigt
sahen, ihre Entwicklungsgesetze außerhalb derselben zu suchen.
Mit dem Teufel hat sich die menschliche Dummheit und
Unfähigkeit, die Entwicklungsgesetze zu begreifen, in der Kulturgeschichte
ein bleibendes Denkmal gesetzt, doch war der Gipfelpunkt
der Torheit damit noch nicht erreicht; diesen zu erklimmen,
blieb dem Naturalismus vorbehalten, denn er hat das Bewußtsein,
sich mit den Maximen in direktem Gegensatze zu den Entwicklungsgesetzen
zu befinden, das sich noch im Teufelsglauben ausdrückt
, so vollständig verloren, daß er sich statt dessen in Einklang
mit ihnen wähnt.
Will die Menschheit den Strom der natürlichen Entwickelung
wieder gewinnen, um sich von ihm vorwärts tragen zu lassen, so
wird sie vorerst darauf bedacht sein müssen, seine treibenden
Kräfte aus ihrer eisigen Erstarrung zu befreien, in die sie während
der eisigen Winternacht des Egoismus verfielen. Ehe nicht die
Sonne einer besseren Einsicht aufgeht, wird die Winternacht nicht
weichen und die inneren Kräfte können sich nicht lösen und ihre
Wirksamkeit entfalten. Noch scheint das Tagesgestirn so fern,
daß, ehe die trostlose Polarnacht des Egoismus ihr .Ende erreicht,
noch viele grause Winterstürme sie durchtoben dürften.
Es ist die Ohnmacht individueller Entwicklungsbestrebungen
gegenüber der Ungunst äußerer Entwicklungsbedingungen, die in
folgender Stelle aus Goethe's Faust ihren klaren Ausdruck
findet:
„— Was hilft dem Menschengeist Verstand,
Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,
Wenn's fieberhaft durchaus im Staate wütet,
Und Übel sich in Übel überbrütet.
Wer schaut hinab von diesem hohen Raum
In's weite Reich, ihm scheint's ein schwerer Traum,
Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,
Das Ungesetz gesetzlich überwaltet,
Und eine Welt des Irrtums sich entfaltet.—
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