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26 Psychische Studien. XLII. Jahrgang. 1. Heft. (Januar 1915#)
So will sich alle Welt zerstückeln,
Vernichtigen, was sich gebührt;
W i e s o 11 s i c h d a d e r S i n n entwickeln,
Dereinzig uns zum Rechten führt?"2)
Die Wiederverkörperung.
Von Fritz Veigel (Mainz).
In dem Aprilheft 1914 der „Psychischen Studien" (Seite
217—221) wird eine kritische Abhandlung veröffentlicht, in
welcher Alois K a i n d 1 sich bemüht, die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit
von den wiederholten Erdenleben des geistig-seelischen
Menschenwesens in Abrede zu stellen.
Vor allen Dingen betont der genannte Verfasser, daß die
Wiederverkörperungslehre eher der Ausfluß eines Gemütsbe-
2) Nachträglich ging uns vom Herrn Verf. noch die nachfolgende
Ergänzung zu: „In meiner obigen Arbeit wird auch das
bekannte Beispiel vom Spanier und Algerier angeführt, an dem
Schopenhauer die Eichtigkeit seines Moralprinzipes demonstriert.
Kürzlich fand ich in der „Linzer Tagespost* vom 21. XI, 13 einen
Fall berichtet, der nicht nur zeigt, zu welchen Leistungen die
naturalistische Ethik befähigt, sondern der auch infolge seiner
Drastik geeignet ist, neben jenem, dessen sich Schopenhauer bedient
, angeführt zu werden. Diese Blüte am Baume der naturalistischen
Ethik möge nun ihren Duft entströmen: „„Betrug an
Arbeitslosen. Berlin, 20. November, Ein Ingenieur namens Bartum
hat einen großen Betrug an Arbeitslosen begangen. Er schickte ein
gefälschtes Telegramm des Reichskanzlers der Stadt Reichenbach
mit dem Ersuchen, angeblich für industrielle Zwecke ein Terrain
anzuweisen. Dann nahm er in Berlin Tausende von Arbeitern auf,
von welchen er sich Vorschüsse geben ließ, bestellte sogar einen
Extrazug bei der Bahn und, als die Arbeiter auf dem Bahnhof erschienen
, verschwand er. Auf diese Weise hat er 8000 Mk. herausgeschwindelt
."" — Wahrlich es gehört eine in intellektuellem Pe-
aantismus vertrocknete Wagnernatur oder ein seelen- und skrupelloser
Krämergeist dazu, um angesichts solcher Proben moderner
Schurkenhaftigkeit nocn vom Fortschritt zu sprechen, wie es mit
Emphase die Naturalisten tun. Was soll uns aller intellektuelle
Fortschritt, wenn er sich immer mehr in den Dienst egoistischer
Immoralität stellt und dadurch den sozialen Zersetzungsprozess beschleunigt
? „Qui proficit in literis et deficit in moribus, plus deficit
quam proficit!* — In meiner Arbeit habe ich mehrfach dichterische
Zitate verwendet, von der Ueberzeugung ausgehend, daß in
den tiefsten Lebensfragen intuitive Eingebungen ort maßgebender
sind, als alle noch so ingeniösen Spekulationen der Intelligenz.
Uebrigens sagt ja auch Schopenhauer: .Bei einem moralischen
Gegenstande ist auch das Zeugnis der großen Dichter von Gewicht.
Sie reden nicht nach systematischer Untersuchung, aber ihrem Tiefblick
liegt die menschliche Natur offen." Das ist auch meine Meinung
. K.*
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