http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0060
56 Psychische Stadien. XLII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1915.)
christlichen Fahnen heftete. Es war Pius V. gewesen, der am
eifrigsten die christlichen Souveräne zum Widerstand aufgemuntert
hatte und der nun mit ängstlicher Spannung den Ausgang
des Kampfes erwartete.
Auf Grund der Akten des vatikanischen Archivs berichtet
nun Abbe Grente: „Es war etwa 5 Uhr abends, als die Schlacht
von Lepanto sich ihrem Ende näherte. Zur selben Stunde, am
7. Oktober 1571, war Pius V., der seit der Abfahrt der christlichen
Schiffe seine Gebete und Kasteiungen verdoppelt hatte,
damit beschäftigt, in Gegenwart einiger Prälaten, die Rechnungen
seines Schatzmeisters Busotti zu prüfen. Plötzlich,
wie durch eine unwiderstehliche Gewalt
bewegt, erhebt er sich, nähert sich einem Fenster,
öffnet es, blickt gen Osten, verharrt in tiefem Sinnen, dann aber
sich seiner Umgebung zuwendend, die Augen noch in Ekstase aufleuchtend
(les yeux brillants encore de Textase) spricht er: „Lassen
wir die Geschäfte liegen und danken wir jetzt Gott! Die
christliche Armee erringt den Sieg!" Er
verabschiedet die Prälaten und begibt sich sogleich in sein Oratorium
, wo ein Kardinal, der auf diese Nachricht herbeigeeilt war,
ihn vor Freude weinend vorfindet. Busotti und seine Kollegen
aber, überrascht von solch* plötzlicher und feierlicher Enthüllung,
notieren sich genau Tag und Stunde. In ihrer
Erregung eilen sie auch, die Sache mehreren Kardinälen und an-
deren Personen anzuvertrauen, die ebenfalls das Datum
sich notieren. Aber alle bedauerten schließlich ihre Un-
klugheit; denn 14 Tage gingen dahin, ohne daß eine Bestätigung
die Entmutigten aufrichtete. So war es also doch nur ein
Traumbild und man mußte sich vorwerfen, Anlaß gegeben zu
haben, daß man nun über den Papst sich lustig mache. Was
war denn nun aber die Ursache des verspäteten Eintreffens der
Siegesnachricht? Don Juan hatte sogleich nach dem glücklichen
Ausgang der Seeschlacht einen Kurier an den Papst gesendet;
allein Stürme verschoben die Absendung der Botschaft und erst
auf dem Umweg über Venedig, und zwar durch den Dogen Mo-
cenigo erhielt der Papst Kenntnis. Der Bote kam in der Nacht
an, trotz der ungewohnten Stunde führte man ihn beim Papste
ein. Dieser dankte Gott mit den Worten der Jieiligen Schrift:
„Der Herr hat angesehen das Gebet der Gedemütigten und ihre
Bitten nicht verschmäht. Der Nachwelt soll man dieseTaten verkündigen
und das Volk, das da wird geboren werden, lobe den
Herrn!** Auf Don Juan aber wandte er sogleich das Wort des
Evangeliums an: „Es war ein Mann von Gott gesandt, der hieß
Johannes.** Sodann gebot er, daß alle Personen im Vatikan
sogleich zu wecken seien und ihm in die Kapelle folgten, um
Gottes Erbarmen zu preisen. Des Morgens aber ertönte der
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0060