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68 Psychische Stadien. XLII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1915.)
einer plötzlichen, gewaltsamen und mehr oder minder qualvollen
Verlöschung des Lebens zu tun. die in einem großen Maßstabe
vor sich geht; mit einer täglichen Massenflucht entkörperter
Seelen aus der sichtbaren in die unsichtbare Welt. Wir haben
unsere Hospitäler und Rekonvaleszentenheime für die Verwundeten
, deren Leben wir für diese Erde zu erhalten hoffen; und
sicherlich werden auch diejenigen, welche vorzeitig und auf grausame
Weise aus diesem Leben hinausgestoßen worden sind, in
jener Welt eine ähnliche Fürsorge beanspruchen. Der Übergang
ist so unvermittelt und naturwidrig, daß die erschütterten
Seelen Zeit und Pflege brauchen werden, um sich ihrer neuen
Umgebung anzupassen. Zweifellos wird dem Tode eine längere
Periode von Bewußtlosigkeit folgen. Jedoch, wer vermag zu
sagen, was eintritt, wenn der Geist, in diesem Augenblicke sich
des Sinnlichen und Zeitlichen noch voll und klar bewußt, sich
im nächsten Momente seiner Sinnesorgane, die er bisher zu gebrauchen
pflegte, vollständig beraubt findet? Vermutlich wird
von den letzten Szenen, die erblickt, von den letzten Tönen, die
gehört worden, einige Zeit ein schreckhafter und verworrener
Eindruck verbleiben. Ist das Gehirn unversehrt geblieben, so
werden das Bewußtsein und die Sinne des Gesichts und Gehörs,
sogar nach offenbarem Tode, noch so lange vorhalten, bis die
Vitalität des Gehirns entwichen ist. —
Was nun den religiösen Gesichtspunkt anbelangt, den der
Krieg uns darbietet, so erscheint es vorerst undenkbar, daß die
göttliche Vorsehung ein so grenzenloses und grauenerregendes
Übel, wie es der Krieg ist, zulassen sollte. Am meisten befriedigend
, erscheint mir die Antwort, welche Immanuel Swedenborg
in seinem Werke über die göttliche Vorsehung (Abschn.
251) auf diese inhaltsschwere Frage zu geben versucht. — Er
sagt darin:
„Von der göttlichen Vorsehung kömmt nicht her, daß es
Kriege gibt, weil sie verbunden sind mit Mord, Plünderung, Gewalttaten
, Grausamkeiten, und anderen schrecklichen Übeln,
welche mit der christlichen Liebe im schroffsten Widerspruche
stehen; dennoch aber müssen sie zugelassen werden, weil die
Lebensliebe des Menschen seit den ältesten Zeiten so geworden
ist, daß sie über andere herrschen will und zuletzt über Alle, und
daß sie die Schätze der Welt, und zwar zuletzt alle besitzen
will. — Ohne Zulassung des Krieges wäre es nicht möglich, den
Menschen vom Bösen abzubringen; denn wenn nicht zugelassen
würde, daß das Böse hervorbreche, so würde es der Mensch
nicht sehen, und also auch nicht anerkennen, und so nicht dazu
gebracht werden, ihm zu widerstehen. Daher kommt, daß das
Böse nicht durch eine Vorsehung gehemmt werden kann; denn
geschähe dies, so bliebe es eingeschlossen, und würde gleich der
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