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Kaindl: Der Krieg im Lichte der Psychischen Forschung. 69
Krankheit, die man Krebs und Brand nennt, um sich greifen und
alle Lebenskraft des Menschen verzehren. Denn der Mensch ist
von Geburt wie eine kleine Hölle, zwischen welcher und dem
Himmel ein beständiger Streit besteht; kein Mensch aber kann
aus seiner Hölle herausgezogen werden, wenn er nicht sieht, daß
er darin ist, und wenn er nicht herausgeführt werden will; und
dies kann nicht ohne Zulassung geschehen, deren Gründe Gesetze
der göttlichen Vorsehung sind. Daher kommt, daß es
kleinere und größere Kriege gibt; kleinere zwischen den Besitzern
von Ländereien und ihren Nachbarn, und größere zwischen den
Monarchen der Reiche und ihren Nachbarn; das Kleinere und
Größere macht aber keinen anderen Unterschied, als daß der
kleinere innerhalb gewisser Schranken gehalten wird durch die
Gesetze eines Volkes, der größere aber durch die Gesetze der
Völker, und daß sowohl der kleinere als der größere seine Gesetze
überschreiten möchte, der kleinere aber dies nicht kann, und
der größere es kann, jedoch auch nicht über das Mögliche hinaus
. Daß die größeren Kriege, obgleich sie verbunden sind mit
Mord, Plünderung, Gewalttaten und Grausamkeiten, gleichwohl,
von der Vorsehung bei den Herrschenden nicht gehemmt werden,
weder im Anfange, noch im Fortschreiten, sondern erst am Ende,
wenn die Macht des einen oder andern so geschwächt worden ist,
daß ihm die Gefahr des Unterganges droht, davon gibt es
mehrere Ursachen, welche im Schatze der göttlichen Weisheit
verborgen liegen —"
Auch der Apostel J a k o b u s stellt dieselbe Frage, die uns
Swedenborg eben beantwortete, und er erledigt sie in seiner Weise.
„Woher kommen", sagt er, „die Streitigkeiten und Kämpfe unter
euch? Woher anders als aus euren Lüsten, die da streiten m
euren Gliedern wieder einander?" — Es ist die exklusive (Davis
bezeichnet sie als die „extreme") Selbstliebe und Selbstverherrlichung
, welche als die Wurzel des Übels angesehen werden
müssen; und was den gegenwärtigen Krieg anbetrifft, so scheint
mir die Neigung „über andere und zuletzt über alle zu herr-
sehen und alle Schätze der Welt zu besitzen, deren Swedenborg
im ersten Satze seines Zitates erwähnt, treffend den Geist zu charakterisieren
, der den deutschen Kaiser und mit ihm seine ganze
Kriegerkaste beseelt.55) Übrigens wird die Doktrin, daß „Macht
Recht ist" inBernhardi's wohlbekanntem Buche offenkundig
anerkannt. [Im Auslande nicht weniger oft! Red.]
3) Das ist eine geradezu empörende Verdrehung des wirklichen
Sachverhalts! Der deutsche Kaiser, ein Mann von durchaus edlem
Charakter, dazu vielseitigstem Wissen, hat seit Jahren mit nicht
genug anzuerkennender Selbstbeherrschung alles getan, um diesen
durch die Einkreisungspolitik seines englischen Onkels aus Neid
und Eifersucht angezettelten Krieg zu verhindern. Das im großen
Ganzen musterhafte deutsche Offizierkorps aber kann nur ein durch
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