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Grävell: Theosophie oder Religion?
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Den geriebenen Geschäftsmann, den Vater der Milliardäre
und der Trusts, Bruder Jonathan, als Seelenarzt Europas zu konsultieren
, ist ein so komischer Gedanke, daß man ihn eher für
einen ironischen Witz von Bernhard Shaw halten könnte. Tief
betrübend aber ist es wieder — jedoch charakteristisch für den Zustand
, der den Dichter zurzeit beherrscht, — wenn man sieht, wie
er sich in seiner Seelennot an einen bloßen Strohhalm klammert
und Worte spricht, von denen man mit Pope sagen kann:
„Nicht Poesie ist's — tollgewordene Prosa."
(„It is not poetrjr, but prose run mad.")
Theosophie oder Religion?
Von Dr. Grävell (Lugano).
Man hört jetzt häufig das Wort „Theosophie" und man
hätte gern eine klare Vorstellung, was es ist im Gegensatz zu ähnlichen
Begriffen, namentlich zur Religion. Ich will daher kurz
ein paar Worte darüber sagen.
Die neuere Philosophie seit Kant hatte keine Metaphysik;
sie lehnte es ab über etwas Jenseitiges eine Auskunft zu geben,
da niemand etwas Bestimmtes darüber wissen könne. Die Theo-
sophische Gesellschaft, die im Iahre 1875 gestiftet
wurde, suchte diese Lücke auszufüllen. Denn die Sehnsucht des
Menschen nach dem Unbekannten ist da und will befriedigt sein.
Sie stützte sich auf die alte indische Weisheit und liebäugelte unter
Ablehnung des christlichen Standpunktes mit den Anschauungen
der Brahmanen. Die Führer wurden Buddhisten (Olcott, Annie
Besant, Franz Hartmann) und es genügte, um sich als „Theosoph"
zu dokumentieren, dass man mit (oft unverstandenen oder unverdauten
) Sanskritausdrücken um sich werfen konnte. Die Theosophie
war weiter nichts als Metaphysik, d. h. Theorie des
Jenseits. Aber es liegt auf der Hand, dass eine Theorie, und wenn
sie auch noch so schön ist, nicht auf die Dauer befriedigen kann.
Es gehört eine gewisse Praxis dazu. Tatsache ist, dass die meisten
Theosophen anfingen an einem unerträglichen geistigen Hochmut
zu leiden — dem Todfeinde jedes Fortschritts und dem absoluten
Gegensatz zum Geiste des Christentums.1)
*) Es gibt kaum etwas, was dem, der sich schmückt mit des
Kreuzes Zeichen, unsympathischer sein darf als Hochmut. Daher
beruht auch in der katholischen Kirche die ganze Ausbildung auf
Ausbildung der wahren Demut und Bescheidenheit und daraus
folgender .Reinheit und Keuschheit. Im übrigen verweise ich als
Ergänzung auf Schriften von mir, wie: „Enthüllung des Christen- *
tums" (in der ÄIsistf), „Dogmatik und Theosophie" („Zentralblatt für
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