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74 Psychische Stadien. XL1I. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1915.)
Man kann in der Seele des Menschen zwei (oder wenn man
lieber will drei) Grundrichtungen unterscheiden. Intellekt
und Wille, zu denen man noch das Gefühl zählen kann.
Das Gefühl ist ein Mittleres der beiden Grundeigenschaften und
aus ihnen entstanden und zusammengesetzt, so dass man bei jedem
Gefühle unterscheiden kann, ob es mehr vom Willen oder vom
Verstände an sich hat. Aus praktischen Gründen aber pflegt man
das Gemüt als eine eigene Seelenkraft hinzustellen.
Der Intellekt gibt die M e t a p h y s i k , wenn er sich auf
die Betrachtung des Jenseits richtet, und zwar in der Form der
Seherschaft, d. h. durch entsprechende Ausbildung innerer
Sinne wird die Wahrheit erforscht. Entweder geschieht es be-
wusst, nämlich durch Hellsehen oder unbewusst, nämlich durch
Inspiration und Intuition. So sind alle großen Künstler
, Dichter, Propheten und Religionsstifter „Seher" gewesen.
• Der Wille gibt die Moral. Man kann ein sehr guter
Mensch sein ohne viel von Metaphysik zu wissen und umgekehrt,
man kann ein Philosoph sein und dabei egoistisch sein. Die
Erforschung der Wahrheit ist etwas Grosses und macht schlicht
und frei, aber sie kann nur dann die innere Freiheit bewirken,
wenn sie praktisch betätigt wird. Daher pflegten von jeher Religionsstifter
nicht bloss Dogmen, sondern auch Moralvorschriften
zu geben.
Unter einem Dogma versteht man einen Glaubenssatz:
d. h. nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung und besonders gestützt
auf Autorität (die in den meisten Fällen mehr oder weniger
auf Seherschaft zurückgeht) nimmt man eine bestimmte Wahrheit
an. Daher sind die Glaubenssätze der Theosophen so gut
„Dogmen" wie diejenigen irgend einer Glaubensgemeinschaft, nur
dass sie vielleicht nicht genau definiert und vorgeschrieben sind.
Ein Streit darüber ist ganz überflüssig. Was ich für wahr halte, ist
für mich ein Dogma, so lange ich daran glaube. Die „Monisten**
und „Materialisten** haben ebenso gut ihre Dogmen wie die Katholiken
oder Buddhisten, auch wenn sie es nicht so nennen. Auf
das Wort kommt es nicht an. Ohne Dogmen ist eine Religion
nicht denkbar, im Gegenteil, je besser sie ist, desto mehr Dogmen
hat sie.
Okkultismus"), „Zarathustra und Christus" (Verlag von Baumann in
Bitterfeld), „Der Katholizismus am Scheideweg" (Schalk in Wien),
„Christlich-Germanisch" (Verlag Heimdali in Stuttgart), „Die zehn
Gebote des Menschen" (Heidelberg), „Der Aufstieg zur Gralsburg"
(Neue Lotusblüten 1913, Verlag von Jäger in Leipzig), „Ein allgemeiner
Kongreß für Weltanschauung" („Psychische Studien", Mai
1914), „Das Ariertum und seine Feinde" (Verlag Ostnon in Wien),
„Grunaerfordernisse zum Studium für Geisteswissenschaft" („Karma"
Leipzig, Vollrath).
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