Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
42. Jahrgang.1915
Seite: 75
(PDF, 159 MB)
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Gräveli: Theosophie oder Religion? 75

Nun versteht man unter einer Religion die Richtung des
Gemütes auf etwas persönlich gedachtes Jenseitiges. In der Regel
freilich denkt man (wenigstens bei den „Protestanten'*) an die
Annahme gewisser Dogmen. Allein dies wäre ja doch nur eine
Metaphysik oder, wie man jetzt zu sagen pflegt, eine Weltanschauung
. 2 )

Die Religion wendet sich weniger an den Verstand, als an
den Willen. Sie sitzt im Gemüt und äussert sich durch Gefühl.
Sie wird zur Mystik, wenn sie immanent wird, d. h. wenn
diese Richtung so sehr vorherrscht, dass höhere geistige Fähig-
keiten erwachen. Ein Mystiker ist ein entschiedener Jenseitiger
, während die meisten Menschen nur „Gläubige** sind.:')

Man kann also sagen: Die Theosophie ist transcen-
d e n t, d. h. sie beschäftigt sich verstandesmässig mit der jenseitigen
Welt, sie ist „Okkultismus**, Wissenschaft vom Verborgenen
, geheime Weisheit Gottes oder, wie die Theologen sagen
, würden: Offenbarung, nämlich durch Seherschaft gewonnene
Erkenntnis oder Einsicht, „Wisse n** (indisch „vidya**).

Die Religion dagegen will gelebt sein. Sie wünscht den
Menschen besser zu machen und lehrt gewisse Moralgrundsätze,
wie z. B. L i e b e. Wer diesen Weg des Opfers, der Abtötung, der
Selbstverleugnung geht, in dem erwacht nach und nach etwas
Neues, vorher nicht Gefühltes. Es entsteht nämlich ein neues

2) Man muß unterscheiden<fcwischen Dogmenglauben, d. h. ein
Fürwahrhalten gewisser Sätze, und „dem Glauben" (pistis) im allgemeinen
, der nicht imVerstande, sondern im höchsten Teile der Seele
sitzt, bis das Schauen beginnt. Pauls en sagt in seiner „Einleitung in
die Philosophie": „Nicht das Wissen, sondern der Glaube tut Wunder;
freilich nicht jeder Glaube, sondern nur der rechte Glaube, der das
was kommen will, divinierend vorausnimmt; Ideen, sagt Hegel, sind
die wirkenden Kräfte der Geschichte. Wohl; denn Ideen von dem,
was kommen soll, sind die bewegenden Kräfte in den Bestrebungen
und Gedanken der Menschen. Das wird so bleiben, so lange Menschen
nicht vom Genuß der Gegenwart, sondern auf Hoffnung: der
Zukunft leben. Und so lange wird auch der Glaube im Menschenleben
seine Eolle spielen* In diesem Sinne ist aber der Glaube ein
Element, ja das eigentliche Formprinzip jeder Philosophie." So spricht
ein wahrer Philosoph. Aber heute wird das Wissen überschätzt und
die edleren Ideenkräfte oft verachtet.

3) Man könnte die Menschen einteilen in „Diesseitige* und
„ Jenseitige*, je nachdem ihre Hauptseelenrichtung sich auf die
Welt oder auf Gott erstreckt. Beide Arten von Menschen können
sich nicht verstehen. Aber sie werden eins im richtig auf gefaßten
immanenten Monismus des indischen Satzes „tat tvam asi*: „Du bist
die Welt, Gott ist in dir.* „Das Endergebnis der Spekulation, die
schon von primitiven Menschen (in der Gestalt des Animismus)
begonnen ist, ist, daß die Macht, die sich in dem ganzen, als materielle
Welt unterschiedenen Universum kundgibt, eins ist mit der
Macht, die in der Form von Bewußtsein aus unserm eigenen Innern
quillt.* (H. Spencer, Soziologie).


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