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106 Psych. Stud. XLII. Jahrg. 3. u. 4. Heft. (März-April 1915.)
Soweit die Mitteilung des Matin.
Gewiß ein außergewöhnlicher Fall, und doch in seinem Wesen
weder neu noch unverständlich für den Psychologen. Offenbar
handelt es sich hier um eine Tätigkeit des Unterbewußtseins. Von
einer geistigen Krankheit, im strengen Sinne des Wortes, kann
dabei nicht die Rede sein, höchstens von einer geistigen Schwäche.
Und zwar darf von einer letzteren geredet werden, weil das
Oberbewußtsein des Herrn Costy einem unterbewußten Trieb,
einer unterbewußten Fähigkeit über den geistigen Gesamtorganismus
seiner Person eine größere Macht eingeräumt hat, als solchem
Trieb und solcher Fähigkeit im Gesamtinteresse des geistigen
Haushaltes zukommt.
Nicht übersehen werden darf bei dieser Mitteilung des
Matins, die Angabe, daß die „Zahlen** auch den Schlaf des
Herrn Costy stören. Also scheinen auch die Traumbilder, soweit
diese in Worte gekleidet sind, als Ziffern zu erscheinen, ehe
er sich des Sinnes derselben bewußt wird. Im Traum freilich
waltet das Unterbewußtsein ja nahezu schrankenlos. —
An zwei Dinge habe ich bei der Lektüre dieses Artikels
denken müssen, an die Elberfelder Pferde und an das Buch des
Herrn Prof. Dr. Staudenmaie r.
An die Elberfelder Pferde. Wen von den zahlreichen Besuchern
des Stalles in der Roonstraße hätte es nicht in grenzenloses
Erstaunen versetzt, wie ein Pferd die richtige Lösung einer
Rechenaufgabe durch Klopflaute kundgibt, kaum daß diese gestellt
ist, und weit früher, als es dem Fragesteller selber möglich
wird, das Resultat nach den beim menschlichen Rechnen üblichen
Methoden zu ermitteln. Ich wenigstens, der ich die Ergebnisse
der von mir gestellten Aufgaben vorher nicht kannte, hatte mehr
Minuten nötig, die Antworten der Pferde auf ihre Richtigkeit hin
zu prüfen, als das Tier Sekunden gebraucht hatte, sie zu geben.
Und ein gleiches gilt von Herrn Krall, der ebenfalls kein Schnellrechner
ist. Bei den Pferden, sowohl wie bei Herrn Costy, stehen
wir möglicherweise vor demselben — zurzeit noch dunkeln —
Vorgang, daß ein fertiges Rechenergebnis ins Bewußtsein oder
sagen wir wenigstens in den kundgebungsfähigen Intellekt eintritt,
und zwar mit blitzartiger Geschwindigkeit, ohne daß irgendein
bewußtes Rechnen vorhergegangen ist. Wollend oder nicht,
tauchen wir hier in das Gebiet des Unbewußten oder wohl
besser gesagt: des Unterbewußtseins ein, welches für uns noch
so viele Geheimnisse birgt, von dem wir überhaupt noch nicht einmal
eine faßliche Anschauung besitzen, und das wir doch — als
Arbeitshypothese wenigstens — gelten lassen müssen. —
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