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118 Psych. Stud. XLII. Jahrg. 3. u. 4. Heft. (März-April 1915.)
rung. Dem tut es auch keinen Abbruch, daß gegenwärtig gewisse
buddhistische Sekten (man zählt deren etwa 12 in Japan) die
Kaiserverehrung, obwohl dies gar nicht mit ihren Grundlehren in
Einklang zu bringen ist, in den Vordergrund stellen. Es ist das
nur eine Demonstration, deren Zweck, sich lieb Kind zu machen,
äußerst deutlich ist. Solche Praktiken können weder auf Dauer, noch
auf Erfolg rechnen. Auch die kriegerischen Unternehmungen
Japans in der letzten Zeit sind zum guten Teil auf das Bestreben
zurückzuführen, durch Ruhmestaten und Herrsehaftsausdehnung
vor den Augen des Volkes den Nimbus des göttlichen Sonnensohnes
in hellerem Licht erstrahlen zu lassen. Aber auch solche heroische
Mittel werden nur eine Zeitlang vorhalten, und jeder, der weiß,
wie tief der Gedanke an die Göttlichkeit des Tenno im Herzen der
alten Japaner wurzelt, wird mit Spannung dem Augenblicke entgegensehen
, wo dem Volke einmal die Binde von den Augen fällt.
Das ganze religiöse Volksempfinden wird alsdann einen Stoß er-
leiden, dessen Tragweite heute noch nicht zu ermessen ist. -
Dieselbe Toleranz, welche die Japaner dem Buddhismus bei
seinem Eindringen in ihr Land bewiesen, und die durchaus nicht
mit Indifferentismus zu verwechseln ist, bezeugten sie anfänglich
auch gegenüber dem Christentum, als der Jesuitenmissionar Franz
Xavier sie aufsuchte und seine glänzende Beredsamkeit entfaltete.
Alle erzielten Erfolge aber gingen wieder verloren, als zwischen den
Jesuiten einerseits und den Dominikanern und Franziskanern
andrerseits infolge von Eifersucht und Zettelungen Zwistigkeiten
entstanden, welche dem ganzen Bekehrungsfeldzug ein politisches
Gewand gaben. Da erwachte allerdings der tief in der Seele des
äußerlich so ruhigen und freundlichen Japaners schlummernde
Tiger, und es kam zu einer grausamen Verfolgung.
Indirekt hatte bereits zu einer sehr viel früheren Zeit
christliche Einwirkung auf die religiösen Vorstellungen der Japaner
dadurch stattgefunden, daß im Jahre 636 Olopön aus Indien das
nestorianische Christentum nach China brachte. Das ihm bei diesem
zusagende Zeremoniell verleibte sich der Buddhismus ein. So'
identifizierten die Chinesen mit der Madonna ihre Kwan Yin,
die Göttin der Barmherzigkeit, welche gleich Buddha in einer
Lotosblume thront, und die Japaner ihreKwannon. Auch den Missionaren
der verschiedenen christlichen Bekenntnisse ist es gegenwärtig
erlaubt, ungestört ihre Bekehrungstätigkeit auszuüben, aber
anscheinend ohne wesentlichen Erfolg. Durchgehends sind es nur
Leute aus dem gewöhnlichen Volk, welche sich den christlichen
Gemeinden anschließen. Zwar wurde es den Jesuiten gestattet,
im Jahre 1913 in Tokio eine Universität zu eröffnen, aber die etwas
atheistisch angehauchte Großstadtjugend wird sich die neue, ihr
gebotene Gelegenheit, ihr Wissen und ihre Bildung zu bereichern
und zu vervollkommnen, wohl zunutze machen, während es
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