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120 Psych. Stud. XLII. Jahrg. 3. n. 4. Heft. (März-April 1915.)
mich veranlaßt, dieses Thema nochmals zu berühren, da es gilt,
gegenüber der„Gpisteswissenschaft"den Standpunkt der freien psychischen
Forschung zu vertreten, bzw. die zwischen ihnen obwaltenden
Differenzen näher zu beleuchten und genauer zu bestimmen
.
Von diesem Standpunkte aus wird man /or allem dagegen
Einsprache erheben müssen, als sei eine Erweiterung des Perzeptionsvermögens
ins Übersinnliche durchaus gleichbedeutend mit
Höherentwickelung oder diese von jener abhängig. Wie wenig
eine Erweiterung des Perzeptionsvermögens in's Sinnliche da*
geistige Niveau zu erheben vermag, das ersieht man am Alltagsmenschen
, dem Gelegenheit geboten ist, sein Bewußtseinsgebiet
mit Hilfe optischer Instrumente zu erweitern. Nicht anders verhält
es sich aber mit einer Ausdehnung der menschlichen Wahr-
nehmungsfähigkeit ins Übersinnliche, auch diese vermag an und
für sich keine dauernd geistige Erhebung des Individuums zu be-
wirken. Dazu kommt noch, daß solche übersinnliche Erfahrungen
für gewöhnlich nicht ins Gehirnbewußtsein dringen, womit
der Wert der Selbsterfahrung illusorisch wird, indem der Sensitive
gleich dem Nichtsensitiven, der seine Belehrung aus Büchern
schöpft, seine Einweihung in die Geheimnisse der übersinnlichen
Welt erst aus zweiter Hand empfängt.
Die reiche übersinnliche Erfahrung der Seherin von Pre-
vorst l^atte nicht vermocht, sie über ihren anerzogenen religiösen
Glauben zu erheben, und so wird auch in den meisten Fällen der
theosophische Adept oder Mystiker die Schwelle des Übersinn-
hchen ,it demselben Glauben verlassen, mit dem er sie betrat.
Wenn einerseits eine Erweiterung des Perzeptionsvermögens ins
Übersinnliche und die daraus folgende Ausdehnung des Bewußt-
?einsgebietes keine Höherentwicklung in sich schließt, so kann
doch anderseits eine solche ohne jene erfolgen. Es ist möglich,
aber nicht erwiesen, daß gewisse supernormale Fähigkeiten, wie
z. B. das geistige Heilvermögen, die natürlichen Resultate einer
Höherentwickelung sind; aber es ist eine auf Erfahrung gegründete
Tatsache, daß sich die uns bekannten supernormalen Fähigkeiten
auf einen abnormen Zustand, die Ekstase, zurückführen
lassen, der entweder als Folge gewisser pathologischer oder psychopathischer
Zustände spontan eintritt, oder auf mannigfache
Weise künstlich herbeigeführt werden kann.
So verschiedenartig, wie die Ursachen der Ekstase sind auch
die Arten derselben, und es finden sich zwischen ihrer niedersten
Erkenntnis schließt meines Erachtens nicht in sich, daß man (wie
es von theosophischer und auch anthroposopbischer Seite vielfach
feschieht) die Vernunft preisgibt" nur beipflichten und geben ihm
aher gerne zu einer ausführlicheren Darlegung seines kStandpunktes
nochmals das Wort. — Red.
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