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124 Psych, ötud. XLII. Jahrg. 3. u. 4. Heft. (März-April 1915.)
Somnambuler dieselbe Beachtung zu schenken, wie den Behauptungen
der „GeisteswissenschafV% und die Entscheidung vorläufig
der Vernunft zu überlassen.
Wenn man einerseits die Tatsächlichkeit der externen Ideo-
plastik, die Suggestihilität des eingeweihten Psychikers und die
aus der Vorliebe für eine Lehre resultierende Schlußfertigkeit in
Betracht zieht, anderseits aber berücksichtigt, daß der Glaube
an dieWiederverkörperung durchaus kein allgemeiner ist, daß es
nicht nur Religionsysteme gibt, die ihn zum Dogma erhoben, son-
dem auch solche, die ihn verwerfen; daß der Spiritismus, und
namentlich jener der Kardec'schen Richtung die Reinkarnation
auf Grund von durch Medien erlangte Geisterkommunikationen
behauptet, während der anglo-amerikanische Spiritualismus, gestützt
auf die Offenbarungen des Sehers Andrew Jackson Davis,
sie läugnet; wenn man ferner berücksichtigt, daß in der älteren
Literatur des Somnambulismus zwar viel von der Unsterblichkeil
der Seele, hingegen nichts von ihrer Wiederverkörperung verlautet,
und daß die übersinnlichen Tatsachen, welche sie beweisen
sollen, sich nur auf die Anhänger dieses Glaubens beschränken,
so wird man sehr geneigt sein, die Objektivität der Wiederverkörperung
zu bezweifeln und die Entstehung dieses Glaubens in rein
subjektiven Ursachen zu suchen.
Die Notwendigkeit einer Wiederverkörperung der Psyche in
der irdischen Welt sucht der Verfasser damit zu begründen, daß
dem Geiste nur durch die grobe Materie die Möglichkeit geboten
werde, Erfahrungen zu sammeln und sich zu betätigen. „Darum**,
behauptet er, „führt der Entwicklungsgang aus dem zunächst unbewußten
Zustand die Menschheit hinein in den physisch-körperlichen
Zustand und durch diesen hindurch in den nunmehr be-
wußten geistigen Zustand.*'
Die Behauptung, daß der Geist nur durch die grob mate-
Hellen Sinne Erfahrungen sammeln und sich betätigen könne,
widerlegt sich einfach durch die Tatsächlichkeit der übersinnlichen
Erfahrung und die exoorganische Betätigung psychischer Kräfte;
überdies enthält sie eine Leugnung der möglichen Existenz eines
aus verfeinerten Substanzen gebildeten psychischen Organismus
und einer ihm angepaßten geistigen Welt, sowie eines zwischen
beiden bestehenden, dem irdischen analogen Verhältnisses und
einer darauf gegründeten Erfahrung und Wirksamkeit.
Der Entwicklungsgang aus dem unbewußten geistigen in den bewußt
physisch-körperlichen Zustand und durch diesen hindurch
in den bewußt geistigen, erscheint nur sinn- und zweckvoll, und
der Idee einer aufsteigenden, fortschrittlichen Entwicklung entsprechend
, wean er einerseits als Individualisierungs-, anderseits
als Harmonisierungsprozeß gedacht wird. Eine Rückkehr sich
entwickelnder Wesen zu von ihnen bereits abgelegten Entwicke-
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