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130 Psych. Stud. XLII. Jahrg. 3. u. 4. Heft. (März-April 1915.)
die man in friedlichen Zeiten nicht für möglich gehalten hätte.
Aber dafür kranken andere (weibliche) Perioden an anderen, vielleicht
noch schlimmeren Exzessen: Luxus, Vergnügungssucht, Habsucht
usw. —
Die Theosophie unterscheidet zwu feindliche Kräfte im Jenseits
, Lucifer und Ahriman, von denen sich die eine mehr an den
Kopf, die andere an das Herz wendet; die eine verblendet den
Geist des Menschen, dass er nicht mehr klar denken kann und
falsche Theorien aufstellt, die andere, dass er falsche Gefühle bekommt
, die ihn hartherzig und lieblos machen. Der Mann leidet
mehr an der ersten Art, das Weib an der zweiten, aber beide
gehen natürlich Hand in Hand.
Wenn man heute die Menschheit überblickt, so sieht man die
beiden Kräfte deutlich an der Arbeit. Man wird geistig an die
Periode des dreissigj ährigen Krieges erinnert, wie sie Ricarda
H u c h etwa in ihrem monumentalen Roman: „Der grosse Krieg
in Deutschland" in 3 mit wundervollen einzelnen Szenen, Skizzen,
Bildern und Anekdoten geschriebenen Bänden dargestellt hat. Wie
damals ein Sichaustoben auf physischer Ebene stattfand, damit der
Acker bestellt werden könnte für eine neue Epoche, so wüten jetzt
auf geistigem Gebiete ähnliche Stürme, auf dass das Geislesschiff
schliesslich in einen Hafen einlaufen kann. ')
Besessenheit und Christusgeist, Subjektivismus und Objektivismus
, Egoismus und Liebe, Vielheit und Einheit, Urrasse und Edelrasse
. Politik und Religion „Wissenschaft** (.»Monismus*') und
Glaube (Theosophie), Materialismus und Idealismus, Natur und
ist immer Dasselbe. Jede Monomanie stört die Harmonie. Jede EinGnade
— einerlei, wie man die Gegensätze ausdrücken will, es
3) Nach Angaben der Okkultisten ist das finstere Zeitalter,
Kali-Yuga, im Jahre 1899 zu Ende gegangen. Wir leben jetzt demnach
tatsächlich in einer Periode des Uebergangs. Beweis sind die
ungeheuren Gegensätze, die sich vielleicht noch niemals so feindlich
gegenüber gestanden haben. Die einen leugnen direkt die
Existenz Christi, entziehen also damit dem Christentum den Boden,
die andern geben sich einer engen Kirchlichkeit hin. Die Kirch-
lichkeit über alles ist vielleicht der größte Hemmschuh der
Christu^herrschaft. Denn wer irgend etwas über Gott stellt, ist
weit von ihm entfernt. Man soll in allen Gegensätzen das Gute
sehen: so allein kommt man zur Einheit Dann streitet man auch
nicht mehr. JSur Unwissende streiten. Deshalb soll man alles vorurteilslos
studieren, niemals nur Bücher oder Zeitungen einer
Richtung lesen. Errichtung einer ganz unabhängigen Hochschule
für Erforschung der Wahrheit — etwa in
* Bayreuth wäre erwünscht [Und wer schafft die dazu nötigen
Geldmittel her? — Bed.J So lange man konfessionell oder wie
immer begrenzt ist, kommt man nicht zur absoluten Wahrheit. Vor
allem auch nicht, wenn man nicht seinen Charakter ausbildet.
Dies müßte namentlich auf Fortbildungsschulen für Erwachsene gezeigt
werden.
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