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138 Psych. Stud. XLII. Jahrg. 3. u. 4. Heft. (März-April 1915.)
stalten und Szenen sah, die als wirkliche Hellgesichte von den
Zeugen festgestellt wurden.
Meine körperlichen Augen waren hierbei ganz unbeteiligt; es
war ein rein inneres Schauen mit ganz anderer Blickrichtung und
eigenem Blickfelde. Ich nahm in ihm nur die betr. Gestalten und
Szenen wahr, alles weitere war einfach nicht vorhanden.
Das ist meine rein persönliche Erfahrung, die aber noch
keine wirkliche Erklärung des Hellsehens bietet, höchstens Prof.
W. Crookes Recht gibt, der in unserem Gehirne ,,ein dem Branly'-
schen Kohärer entsprechenden Nervenkohärer annimmt, dessen
besondere Funktion es ist, Eindrücke zu empfanger, die ihm durch
aufeinanderfolgende Ätherwellen von geeigneter Größenordnung
von außen zugingen" (s. seine Eröffnungsrede im September 1898
der Jahresversammlung der „British-Association").
Ueber einige Sittengesetze,
Von Dr. Th. H. (Berlin). *)
Das Sittengesetz, losgelöst von allen individuellen Rücksichten
, gibt allein in allen Fällen die Entscheidung darüber, was
gui oder bö?e, was gerecht oder ungerecht ist, und es verlangt bedingungslose
Unterwerfung unter sein Urteil. Nicht ungerächt wird
dieser Grundsatz des kategorischen Imperativs beiseite geschoben.
Die Begründung für die Moral finden wir in Gott, dem
cberslen Gesetzgeber, der uns moralisches Gefühl und Vernunft
gegeben hai. vermittels deren wir die Sittengesetze erkennen. Man
wird voii uns nicht verlangen, zunächst die Existenz Gottes zu beweisen
; wer Gott nicht im Herzen hat. den kann auch der beste
Beweis nichts nützen; denn immer wird er sich wegen seines
Gegensatzes zu Gott von ihm abgestoßen fühlen. Nur demjenigen,
der sittlich-guten Willens ist, kann Gott etwas bedeuten.
Übertritt nun jemand die Sittengesetze, so setzt er sich zwa;
in Gegensatz mit dem Wollen Gottes, aber von einer Beleidigung
Gottes kann keine Rede sein, Gott, als das vollkommenste Gut, ist
über jede Beleidigung erhaben und bedarf keiner Sühne oder Hölle.
Die Abkehr von Gott birgt in sich Strafe genug, indem der Sünder
sich mit Gott entzweit, in welchem er allein Rtfhe und Zufriedenheit
finden kann.
*) Wir bringen diesen Nachtrag des (leider nicht genannt sein
wollenden) Herrn Verfassers zu seiner „Kritischen Studie über
die Willensfreiheit und das Schicksal der Seele* (vergl. Januar-
Heft 1914, S. 41, sowie die Entgegnung hierauf: »Christentum
und Willensfreiheit", April-Heft S. 224) zum Abdruck, obschon wir
ihm weder in allen Einzelheiten hinsichtlich der hier angeregten
Fragen, noch seiner positivistischen Methode der Behandlung ethischer
Probleme ohne weiteres beipflichten können. — Red.
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