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H.: Ueber einige Sittengesetze.
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Zu den Vorbedingungen des sittlichen Handelns gehört ein
guter Charakter, die Beseitigung aller schlechten Motive, soweit es
eben möglich ist, und die tatkräftige Beförderung der Mittel und
Wege für die allgemeine Durchführung der Idee des Sittlichen.
Die „Moral" bedarf freilich einer Berichtigung und Klarstellung
in mehreren Punkten. An erster Stelle wollen wir die Frage aufwerfen
, ob es auch Pflichten gegen Gott gibt, wie Beten oder Glauben
. In dem Sinne, wie es bislang häufig der Fall ist, kann davon
keine Rede sein. Gott, als das vollkommenste Gut, bedarf unser
nicht. Aus natürlichen Ursachen folgt, daß ein Mensch, der sich
zu Gott hingezogen fühlt, auch betet, sich gegen ihn dankbar zeigt
und ihm kindliches Vertrauen entgegenbringt. Hat der Mensch
aber keine gute Gesinnung, so ist Beten leeres Gerede. Einen be-
stimmten Glauben unter Anwendung von Drohungen zu fordern,
führt nur zu oft zur Heuchelei und zum Fanatismus.
Im Anschlüsse hieran seien noch einige Bemerkungen gestattet.
Jeder muß die Freiheit haben, sich nach eigenem Entschlüsse für
einen Glauben entscheiden zu können, darauf hat das Individuum
volles Recht. Hat jemand eine Überzeugung, die mit der Moral
und dem Wissen übereinstimmt, gewonnen, so hat niemand die
Befugnis, ihm diese streitig zu machen. Hat sich nun eine Gemeinschaft
von Personen gleicher, freier Überzeugung gebildet,
so schließt sie notwendig die Überzeugung anderer für sich aus,
ohne damit dem freien Überzeugungsrechte jener nahezutreten.
Eine solche Gemeinschaft darf auch nicht durch Drohungen die
Fieiheit ihrer Anhänger tyrannisieren wollen, oder durch innere
Gesetzgebung eine Scheidewand zwischen ihnen und den Anhängern
eines andern Glaubens errichten, die Anlaß zum Bösen werden
kann. Vielfach scheint man nicht zu wissen, daß Fanatismus absolut
böse ist und schon zu den blutigsten Katastrophen geführt
hat. Wenn also Überzeugungsfreiheit herrschen soll, so ist damit
nicht gesagt, daß jeder Glaube Berechtigung hätte; nur der kann
vielmehr Anspruch auf Gültigkeit machen, der in der Vernunft
und Moral seine volle Begründung findet, und das kann nur Einer
sein Unbedingte, allgemeine Gültigkeit hat die sicher erkannte
Moral. Wer sie nicht anerkennt, für den kann es nur Gewalt
geben. Diesem geschieht aber kein Unrecht, wenn er selbst Gewalt
erleidet und gezwungen sich der Moral fügen muß. Jedoch
darf der Zwang nicht zur Verletzung der Moral führen.
Eine ausführliche Erörterung bedarf das sexuelle Problem.
In erster Linie ist alles zu entfernen, was irgendwie zur Unzucht
führen kann. Die Erziehung muß bestrebt sein, eine schamhafte
Gesinnung in der Jugend zu erwecken. Durch angemessene Beschäftigung
muß man ihren Körper kräftigen und abhärten. Am
Alkoholgenuß und Rauchen muß sie gehindert werden. Das Essen
darf nicht zu reichlich für sie sein und nicht solche Stoffe ent-
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