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H.: Ueber einige Bittengesetze. 141
ist er aber auch dann noch gestattet, wenn sein Zweck erfüllt ist,
der also der Fortpflanzung nicht mehr dient? Folgende Gründe
mögen darüber entscheiden. Wäre die Ehe nur der Fortpflanzung
wegen da, so ist ohne weiteres klar, daß der eheliche Verkehr nur
mit Rücksicht hierauf gestattet sein könnte, und ist dieser Zweck
erfüllt, so wäre er unsittlich. Dann müßte man auch zugeben, daß
der Geschlechtstrieb und der geschlechtliche Verkehr an sich böse
und nur wegen des Zweckes der Fortpflanzung als elender Not-
behelf erlaubt sei. Gegen diese Ansicht spricht aber Folgendes:
Wir gehen dabei von dem Satze aus, den jeder, der an Gott glaubt,
zugeben muß, daß es nämlich nichts in der Natur gibt, was an sich
unsittlich ist Denn nehme ich an, daß etwas unsittlich sei, so
muß ich notgedrungen zugestehen, daß Gott Unsittliches geschaffen
habe, was aber dem Gottesbegriffe widerstreitet.2) Der Geschlechtstrieb
und der geschlechtliche Verkehr ist etwas Natürliches
, folglich ist er auch an sich nicht unsittlich. Letzterer kann
aber unsittlich werden, sobald er mißbraucht und widernatürlich
wird. Eben damit kein Mißbrauch stattfindet, ist er richtigerweise
in der Ehe gestattet. Der Geschlechtstrieb ist auch nicht so beschaffen
, daß er nur zur Fortpflanzung dienen sollte, man müßte
dann der Natur Unzweckmäßigkeit und die Beschuldigung vorwerfen
, daß sie den Menschen quälen wolle. Zu diesen Gründen
kommen noch moralische. Wäre der geschlechtliche Verkehr nur
mit Rücksicht auf die Fortpflanzung erlaubt, so würden leicht die
Grenzen der sittlichen Ordnung durchbrochen werden, Widernatürlichkeit
kann ja überall entstehen. Folglich ist der geschlechtliche
Verkehr in der Ehe auch dann erlaubt, wenn er der Fortpflanzung
nicht dient.— Weiter ist die Frage zu beantworten, ob aus wichtigen
Gründen die Verhütung einer Empfängnis gestattet sein kann, um
dann den ehelichen Verkehr wegen sittlicher Rücksichten zu erlauben
. Zunächst ist dem Einwurfe zu begegnen, daß die Verhütung
einer Empfängnis aus wichtigen Gründen unnatürlich sei.
An und für sich sagt der Geschlechtstrieb nichts Bestimmtes über
die Fortpflanzung aus; nur so viel können wir aus ihm entnehmen,
daß er dazu dienen soll Hemmt man aus wichtigen Gründen die
natürliche Folge des geschlechtlichen Verkehrs, so ist das keineswegs
schon unnatürlich, sonst wäre es auch unnatürlich einen Fluß
abzuleiten, seinen sinnlichen Trieben nicht zu folgen, seinem Hasse
gegen seinen Feind keinen freien Lauf zu lassen, seinen Hang zum
Stehlen zu hemmen. (Schluß folgt).
-) Dan nennt man in der Logik einen „eirculus vitiosus"!
Zuerst müßte doch bewiesen werden, daß ein so gedachtes allerhöchstes
Wesen vorhanden ist. — Red.
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