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168 Psychische Studien. XLII. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1915.)
Bild vom japanischen Leben zu geben, seine Empfindungen und
Gedanken bei der Rikschafahrt durd.eben dieses Stadtviertel, die sich
sofort an seine Landung in Yokohama anschloß und ihn erstmalig
mit Japan und Japanern in Berührung brachte. Und in der Tat,
die japanische Straße und das japanische Straßenleben ähnelt einander
an allen Orten, und man kann, um es zu beschreiben, einen
beliebigen Ort herausgreifen. Auch der Unterschied zwischen
Stadt und Dorf ist kein wesentlicher. Selbstredend bedingen hervorragende
Tempelanlagen, herrschaftliche Paläste, Regierungs-
bauten, wissenschaftliche, gewerbliche, industrielle Gebäude usw.
lokale Unterschiede, das japanische Haus aber ist allüberall dasselbe
und gibt auch den Großstädten im allgemeinen einen ländlichen
Charakter.
Die fast stets aus Holz gebauten Häuser sind niedrig. Im Erdgeschoß
befinden sich meist Handwerksstuben, Läden, Bureaus usw.
Darüber ein gewöhnlich noch niedrigeres Obergeschoß, durch verschiebbares
Gitterwerk oder die Gllsfenster ersetzende Ölpapier-
wände nach außen abgesperrt. Im geschlossenen Zustand wirkt
solch Häuschen käfigartig. Durch das Verschieben der Außenwände
verändert es beständig sein Aussehen. Bald erscheint an
ein und derselben Stelle eine Öffnung, ein Bambusgitter, eine solide
Bretterwand, bald ein Vorhang, bald Ölpapier in leichtem Rahmen,
Im allgemeinen dringt wenig Licht in das Innere der Zimmer,
namentlich in die rückwärtigen Teile desselben. Zudem sind die
japanischen Straßen, abgesehen von den Hauptstraßen, meist recht
schmal. Das macht sie noch mehr dunkel. Es ist mir bisweilen ge-
radezu unfaßbar erschienen, wie die Leute bei solch kümmerlichem
Licht überhaupt arbeiten können. Und nun bedenke man, welche feine
Arbeiten von den Japanern noch dazu ausgeführt werden. Denn
gerade im Kleinen ist der Japaner groß. Er versteht es, eine
Zeichnung, eine Urkunde in allen Einzelheiten des Papiers, der
Farbe,des Auftrags so subtil nachzuahmen, daß die Kopie vom Original
nicht mehr unterschieden werden kann. Und das gar nicht
selten im Halbdunkel oder bei noch schlechterer Beleuchtung. Ich
führe auf diesen Umstand ein gut Teil der in Japan so überaus
häufigen Augenleiden zurück.
Charakteristisch für die Straße sind die sog. Dozos, ihre hölzernen
Nachbarn meist überragende Lehmhä-user, in welchen bei
Feuersbrünsten - und diese sind in Japan entsprechend der Sach-
läge überaus häufig — wertvolle Habe geborgen wird. Manche
Häuser besitzen auch zierliche Holzbalkone, oder es ver-
läuft zwischen dem Erdgeschoß und dem ersten Stockwerk eine
breite Holzleiste, auf welche Blumenkästen gestellt werden.
Viel Mobiliar pflegt im allgemeinen der japanische Haushalt
nicht zu besitzen. Sein bestes Sdick is. die Matte, welche den Bo-
den bedeckt und die kein Schuh oder Stiefel betreten darf. Dem
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