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170 Psychische Studien. XL1I. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1915.)
Sagen wir hier gleich einige Worte über die landesübliche
Kleidung. Diese besteht in dem weltbekannten Kimono, der möglichst
bunt und oft von kostbarstem Stoffe und kunstvoll bestickt,
von beiden Geschlechtern getragen wird. Vielfach trägt derselbe
Arabesken, Wohlstand, langes Leben u. dgl. verheißend. Die
Ärmel sind bei Männern und Frauen etwas anders geschnitten. In
ihnen bringen beide das unentbehrliche kleme, aber langgestielte
Tabakspfeifchen, sowie den Tabaksbeutel unter. Die Frauen umschnüren
ihre Taille mit dem sog. „Obi", einem kostbaren Shawl-
tuch, oft im Werte eines Vermögens. Der untere Obi dient nur
zur Umschnürung, die oft recht fest erfolgt. Ich habe solche Umwicklungen
gesehen, die dem schlimmsten Korsett unserer Modedamen
nichts nachgaben. Der äußere Obi dient nur dem Staat.
Auch er wird einige Male um den Leib geschlungen und dann
hinten mehrfach quer über die Rundtour gezogen, so daß
dort eine weite Vorwölbung entsteht. Die Art und Weise wie die
Frauen ihre Kinder auf dem Rücken tragen, (dies geschieht ganz
allgemein und ist typisch für das japanische Straßenbild) ist die
folgende. Die Frau bückt sich tief nach vorne, hebt ihr Kind auf
den Rücken, schiebt unter dieses ein Kissen und schlingt um das-
selbe ein Tuch, welches sie über die Schultern schlägt, über der
Brust kreuzt und im Rücken verknotet. Bei den tiefen, zeremoni-
ösen Verbeugungen, welche Japaner und Japanerinnen beim Begegnen
einander machen, hat man oft die Empfindung, als müßte
das Kind der Mutter über Hals und Kopf herüber rutschen. Die
Männer haben einfache Stoffgürtel, die am Kimono befestigt sind.
Bei Schülern und Schülerinnen sieht man die weite Hose (Hakama)
und ein überzieherartiges Gewand, „Haori** genannt^ welches auch
von einzelnen Herren der besseren Klassen getragen wird, jedoch
ungleich weniger schön wirkt, als der Kimono. Auf dem Lande
trägt man durchgehends Kittel und prall anliegende, kurze Hosen.
Die Schenkel sind nackt. Getas sieht man bei den Bauern selten,
Tabis fast nie. Nur bei Wallfahrten legen sie notgedrungen Strohsandalen
an. Bei Regenwetter stülpt sich die Landbevölkerung
einen ponchoartigen Strohmantel um, und bedeckt den Kopf mit
einem breiten, trichterförmigen,flachen Strohhut, was zwar eigentümlich
aussieht, aber höchst praktisch ist. In jüngster Zeit wollen
japanische Ärzte eine gewisse, bisher der einseitigen und oft ver-
dorbenen Reisnahrung zugeschriebene Krankheit auf die nackten
Schenkel und bloßen Füße der ländlichen und der armen städtischen
Bevölkerung zurückführen.
Die Umständlichkeit, mit welcher sich die Japaner beiderlei
Geschlechts bei der Begegnung auf der Straße oder beim Eintritt
in ein Haus unter tiefen Verbeugungen, wie oben erwähnt, begrüßen
, wirkt auf Europäer geradezu verblüffend. Und nicht
nur die Höhergestellten tun dies. Auch die kümmerlichsten Rik-
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