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181 Psychische Studien. XLII. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1915.)
setzen. „Die Menschen halten", sagt Karl May, „ihren eigenen
Geist für klüger als den Geist der Liebe und der Wahrheit, der
alle Himmel regiert und alle Welten lenkt. Das Geschlecht der
Menschen hat keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um
zu hören; es geht der Nacht entgegen anstatt dem Tage. Einer
lockt und winkt dem andern; einer schiebt und drängt den andern
; so führen und stoßen sie sich weiter und weiter, vom Licht
ab und der Finsternis entgegen/*1')
Betrachtet man, wie hier, als den Zweck des irdischen Lebens
die Individualisation, so hat man die Erde gleichsam als die Wiege
des Menschengeschlechtes, sowie überhaupt jedes individuellen
Wesens zu betrachten, und man befindet sich damit in Überein-
Stimmung mit Jean Paul, welcher sagt, daß dieses irdische
Leben ein einziger, nie wiederkehrender Geburtstag der Ewigkeit
sei. Nach dieser Auffassung wäre die Präexistenz der Psyche
nicht als persönlich, sondern als unpersönlich zu denken. Der
Schluß, daß eine individuelle Postexistenz unbedingt von einer individuellen
Präexistenz abhänge, erscheint mir nicht zwingend. —
Ist der Zweck dieses Erdenlebens die Individualisierung, so erscheint
mit der Erfüllung desselben eine Wiederverkörperung als
überflüssig, und könnte sich eine solche nur auf jene Fälle beschränken
, wo die Natur diesen ihren Zweck verfehlte. Nachdem
aber alle Tatsachen der Natur durch die vorhergehenden fest bestimmt
sind, so kann von einem Verfehlen nicht wohl die Rede
sein, sondern man muß annehmen, daß in solchen Fällen die
Nichtindividualisierung ebenso in ihrem Plane lag, wie in den andern
die Individualisierung. (Fortsetzung folgt.)
Die Metaphysik des Mikrokosmos.1)
Von Felix B e r g e r , Pastor in Schwarzau.
Ich bin übeizeugt, wenn Gott elnnal
einen solchen Menschen schaffen wollte,
wie sich ihn die Magister und Professoren
der Plrlosophie vorstellen, er
mi^te den ersten" Tag ins rollhaus
gebracht werden.
Li chtenberg,
»Vermischte Schuften«, S 53.
Die Lösung des Menschenrätsels ist eine der wichtigsten
Grundfragen der Philosophie, welche seit vielen Iahrhunderten die
(») Karl May: „Am Jenseits", Freiburg i. Br., Fr. E. Fehsenfeid
(B. 237).
J) Vortrag auf der Pastoralkonferenz zu Liegnits am 3. Juni
1914. (Umgearbeitet und erweiteil.) — Mit gütiger Erlaubnis des
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