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218 Psychische Studien. XLII. Jahrgang. 6 Heft. (Juni 1915.)
abgesehen, schlecht gehalten; lehmig oder höchstens mit Kies
bestreut, für Europäer bei Regenwetter nahezu unpassierbar.
Und dabei regnet es in Japan durchschnittlich dreimal so viel wie
in Deutschland. Den Japaner stören freilich kotige Wege und
Regengüsse so gut wie gar nicht. Er stelzt auf seiner hohen Stöckelschuhgarnitur
, die er für solche Tage bereitstellt, frohgemut
durch die tiefste Schinutzlache, ohne sich zu verunreinigen. Sein
leichter, weitausladender Ölpapierschirm schützt ihn völlig gegen
den Regen. Wer in Japan überwintert, kann nichts Besseres
tun, als die den Umständen angemessenen japanischenGepfloien-
heiten mitzumachen. Der Schuhriemen 'reilich pflegt zwischen
der ersten und zweiten Zehe anfangs die Haut des Europäers
wund zu reiben.
Zum ersten Male schlief ich in der Nachi nach meiner Landung
in Japan unter einem Moskitonetz. Zwar hätte ich ein
solches auch in Amerika, z. B. in Montana und Kalifornien sehr
gut gebrauchen können, doch fand ich dort in den Hotels keines
vor. Hier aber fehlt das Moskitonetz in keinem europäisch und
halbeuropäisch eingerichteten Hotel, wiewohl die japanischen Moskitos
nur lästig und quälend, nicht aber gefährlich wie in den Malanagegenden
, zuma, den Tropen sind. Ich hatte mir vorgenommen,
von Yokohama aus eine Reihe von Ausflügen zu machen und mich
erst dann zu längerem Aufenthalt nach der nahegelegenen Hauptstadt
Tokyo zu begeben. Ein Zufall aber wollte es, daß ich diese
bereits am zweiten Tage meiner Landung, wenn auch zunächst
nur vorübergehend, betrat.
Und das kam so. Ich hatte die Fahrt von Amerika nach
Yokohama auf einem Schiff der jgroßen Gesellschaft „Togo-
Kisen-Kaisha" gemacht. Nur dei Kapitän war ein Europäer; Offiziere
, Techniker und Mannschaft Japaner. Mit wenig Erfolg hatte
mir der erste Offizier Unterricht in der japanischen Sitzweise erteilt
. Es wäre überhaupt undankbar von mir, wenn ich hier
nicht das liebenswürdige Entgegenkommen aller Angestellten, die
treffliche, peinlich saubere Einrichtung unserer „Nippon Maru"
und die tadellose, geradezu üppige Verpflegung auf derselben
lobend erwähnen wollte. Zur Unterhaltung der Gäste wurden
abendlich sogar Kinovorstellungen auf Deck veranstaltet, mit
immer neuen Films. Nun sandte der Präsident der genannten
Schiffahrtsgesellschaft, Marquis Asano, an sämtliche Teilnehmer
der Fahrt, die noch in Yokohama verweilten, eine Einladung
zum Besuch seiner Residenz in Shinagawa, einem Villenvorort
von Tokyo, die als das schönste Privathaus in Japan gilt. Dabei
wurde noch in zuvorkommender Weise erklärt, daß man im Reise-
anzuge erscheinen dürfe. In Japan gilt nämlich, weit strenger
als bei uns, der europäische Frack bei allen gesellschaftlichen Besuchen
als unerläßlich. So ging es denn am andern Tage zur be-
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