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Ludwig: Die stigmatisierte Tertiarin Maria Beatrix Schub mann. 229
unteren Teile der Arme hervor zwei Adern ganz heißes Blut nach
den inneren Handflächen führten; dort walle und tobe es aber
um so mehr, je geröteter und glühender oben die Malzeichen
zum Vorschein kämen; es war ihr, als würden diese geröteten
Stellen gleichsam über einem unterhalb brennenden Feuer gehalten
. Gerade an den inneren Flächen der Hände und Füße
empfand sie stets bei der leisesten Berührung ein heftiges
Schmerzgefühl, so daß sie zuckend in sich zusammenfuhr,
wenn jemand sie an der Hand faßte und bei der empfindlichen
Stelle sie berührte. Ein stärkeres Drücken verursachte ihr tagelang
andauernde Schmerzen. Das fünfte nur vom Arzt beobachtete
Malzeichen an der linken Seite der Brust war indes das schmerzlichste
von allen. Bitterer aber als die dabei empfundenen
Schmerzen war für sie das zeitweilige sichtbare Hervortreten
dieser Male und die Unmöglichkeit, sie vor den Augen der Menschen
zu verbeigen. Gerne hätte sie noch größere Schmerzen
erduldet, wenn die äußeren Merkmale ihrer inneren Gleichförmigkeit
mit dem Gekreuzigten verschwunden wären. Auf jede Art
suchte sie dieselben zu verbergen; anfangs legte sie einen Verband
um dieselben, wie man eine Wunde verbindet; später verlängerte
sie die Ärmel ihres Kleides und befestigte diese durch
eine zwischen dem Zeigefinger und Daumen angebrachte Schlinge.
Indes waren alle diese Vorsichtsmaßregeln umsonst; bei den
Krampfanfällen, wenn sie bewußtlos dalag, kam sie im tobenden
Schmerzgefühl oft in unruhige Bewegung, so daß eine große Anzahl
von Personen, die sich in den ersten Jahren ihrer Krankheit
an ihr Bett drängten, die geheimnisvollen Zeichen ihres Mitleidens
mit Jesus zu sehen bekamen.
Daß beim Zustandekommen der Stigmatisation die Kraft der
aufs mächtigste erregten Phantasie eine nicht unbedeutende
Rolle spielt, erscheint mir zweifellos und dürfte schon aus der
Tatsache erhellen, daß sich Visionen, deren Inhalt sie stark erregte
, manchmal in dramatisch gestaltete äußere Vorgänge umwandelten
, was selbst ihrem damaligen Beichtvater auffiel, der
sehr richtig bemerkt:„Ich ahnte wohl, daß selbe wieder eine sehr
schmerzliche Vorstellung müsse gehabt haben. Die Vorstellung
, die sie damals hatte, war die Geißelung Christi. Sie
fuhr damals wie rasend an der Wand empor, ächzte, knirschte
mit den Zähnen, krümmte den Rücken und schrie so laut, daß
man es bis auf die Straße hören konnte. Auf der Haut
zeigten sich dann rote Flecken.'*15) Eine Reihe
von Analoga zu dieser plastisch wirkenden Bildungskraft
der Phantasie, wenn sie unter dem
Druck einer dominierenden Vorstellung wirkt, hat Du Prel zusammengestellt
.16) So empfand die Schwester eines zu Spießruten
verurteilten Soldaten diese Streiche in einer Art Ekstase,
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