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Freudenberg: Streiflichter auf japanischen Kultus. 279
durch, daß sie ihn — heiratete, eine echt japanische Idee dieses
realistischen Volkes, dieses selbst deutlicher kennzeichnend als lange
Worte. Die schön bewaldete Felseninsel, über deren Hänge gut
gehaltene Pfade führen (Enoshima ist ein viel besuchtes Seebad),
ist von unglaublichem Reiz. Die Seeseite weist wilde Steilabstürze
auf. Hier befindet sich auch die viel besuchte Drachenhöhle
. Von der Landseite aus erblickt man den stolz über niedrige
Waldberge emporragenden Fuji in voller Majestät. Über die ganze
Insel verteilt liegen kleine Untertempelchen in lauschigen Hainen
und zierliche Shintoschreine, sowie freundliche Teehäuser mit
herrlichen Ausblicken auf das blaue Meer und das grüne Land.
Freundliche Geishas bewirten den Gast mit vorzüglichem Tee und
erfreuen ihn durch ihr Samisenspiel und Gesang. In der Tiefe
am Strand fällt der Blick auf badende Gruppen. Alles atmet
Lust und heitere Behaglichkeit. Beim Rückweg mag man in der
langen Dorfstraße, in der sich Kram an Kram reiht, Muscheln,
Korallen und allerlei Kuriosa erstehen, an denen die See hier
reich ist. Tram nach Fujisawa und von dort die Eisenbahn leiten
bequem nach Yokohama zurück.
Der Fuji-no-yama oder Fuji-san, d. h. Berg Fuji, so überaus
interessant er auch für den Touristen und Geologen ist, und
trotzdem er während seine*- schneefreien Zeit im Hochsommer von
Tausenden von Pilgern besucht wird, bietet kultisch doch nicht
viel. Nur ein der Göttin des Berges gewidmeter Schrein Mukai-
Sengen (Sengen ist der Name dieser Lokalgöttin) befindet sich
unterhalb des eigentlichen Gipfels. Interessant ist es, die steilen
Gipfelwege über und über mit abgängig gewordenen Strohsandalen
der Pilger bedeckt zu sehen, s>o daß die Wege in der Sonne
wie beschneit weißlich schimmern. Aber auch der europäische
Tourist zieht die oben erwähnten Zori über seine Stiefel, um gegen
ein Ausgleiten geschützt zu sein. —
Erst am 9. August (1913) siedelte ich definitiv nach Tokyo
über. Ich geriet in eine heiße Zeit. Zugleich herrschte eine
große Trockenheit. Wie man im Gebirge dem armen Regengott
mitspielte, habe ich schon erwähnt. In den Dörfern der Umgegend
zündeten die Bauern abends vor jeder Türe Strohbündel
als Opfer an, um Regen zu erflehen. Von ferne sah man den
Feuerschein und Rauch. In Kobe wurden damals bei einer
Schlägerei um Wasser eines schönen Tages 38 Menschen erschlagen
. In den Tokyoer Tempeln sahen wir abends Veranstaltungen
von Massengebeten, unseren Bittprozessionen ähnlich.
Wahrscheinlich aber hat man dabei des Guten zuviel getan. Denn
nach wenig Tagen kam es zu heftigen Regengüssen, die vielfach
Überschwemmungen verursachten. Auch der Vesu^ Asamo in
unserer Nachbarschaft regte sich und richtete Unheil an. Doch
empfand man in der Stadt von alledem verhältnismäßig wenig.
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