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Freudenberg: Streiflichter auf japanischen Kultus. 2^1
Tableau! Bei diesem ganzen Rattenkönig von Irrungen und Mißverständnissen
erscheint mir am seltsamsten, daß mein Hotel den
vom Kriegsministerium ausgehenden Telephonanruf als von der
deutschen Botschaft erfolgt angab. Herr Baron Schön, der Vertreter
des Herrn Grafen Rex, unseres Botschafters, lachte nicht
wenig, als ich ihm zwei Minuten später mein Abenteuer erzählte.
Den Erlaubnisschein hatte ich am folgenden Tag in Händen. —
In einer Stadt von zwei und einer halben Million Einwohner,
die noch dazu durchgehends in einstöckigen Holzhäusern wohnen,
wodurch ein enorm ausgedehntes Areal eingenommen wird, kann
man natürlich die Rikschas nicht entbehren. Aber auch das elektrische
Straßenbahnnetz ist sehr gut ausgebaut und seine Benutzung
empfehlenswert. Man zahlt für Riesenstrecken 5 Sen —_
10 Pfg.; auch gibt es dabei noch Umsteigekarten. Tokyo ist die
einzige Stadt in Japan, die auch außerhalb der europäischen
Viertel einzelne großstädtisch angelegte Straßen und denkmalgeschmückte
Plätze besitzt. Das liegt an ihrem Charakter als
Residenz und zwar als moderne Residenz. Selbst das Kaiserliche
Schloß ist zum Teil eine Neuschöpfung. Hierzu kommen die
anderen Neubauten, wie die Kaiserliche Universität, das Hoftheater
, Regierungsgebäude, mehrere Privat-Universitäten, Krön-
prinzenpalais, Kunst- und Handelsschulen, Museen, Banken. Post,
Klubhäuser, Privatbauten usw., welche ganzen Straßen und Vierteln
ein europäisches Aussehen geben. Es sind dies die Stadtteile
zwischen dem Hafen und dem Kaiserpalais. Letzteres nimmt ein
Stadtviertel für sich ein, hochgelegen auf zyklopischem Mauerwerk
, von breitem Wassergraben umgeben, Schatzamt, verschiedene
Ministerialgebäude, Kasernen und schöne Gärten in sich einschließend
. Die vom Fischmarkt bis zum Shimbashibahnhof sich
erstreckende Ginza ist eine breite, von eleganten Bazaren und
Handlungshäusern umrahmte Geschäftsstraße, würdig einer
modernen Hauptstadt. Was aber außerhalb der genannten
Distrikte liegt, ist unverfälschtes Japan, ein Gewoge und Gewirre
enger Holzhäusergassen und -gäßchen, aus dem nur einzelne
Inseln hervorragen, seien es beachtenswerte Gebäude oder prächtige
Parkanlagen.
Diese Parke sind es, welche der Stadt ihren hauptsächlichsten
Reiz geben. Die Lage an der See bleibt landschaftlich unausge-
nutzt; von dieser ist die Stadt einerseits durch die Eisenbahn, andererseits
durch das Hafenviertel zu sehr abgeschnitten. Die Parke
aber sind von vollendeter Schönheit. Beginnen wir mit dem
Shibapark. Er ist ausgezeichnet durch eine Fülle uralter Bäume
und schöner Kryptomerienalleen, unter denen man wandelt wie in
hohen Hallen. Schöne Steinlatemen zieren ihn. Er besitzt eine
leichte Holzbrücke, von Glyzinien (hier Wistarien genannt) überdacht
und über einen blühenden Lotosteich hinwegführend, den
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