http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0303
Berger: Die Metaphysik des Mikrokosmos.
299
Und die Wärme, sie ist Licht.
Dank dir, Dank! daß jene Schrecken,
Die die Hand mit Blut besäumt,
Daß die Warnung nur, nicht Wahrheit,
Nicht geschehen, nur geträumt.
Daß dein Strahl in seiner Klarheit,
Du Erleuchterin der Welt,
Nicht auf mich, den blut'gen Frevler,
Nein, auf mich, den Reinen fällt.
Die Metaphysik des Mikrokosmos.
Von Felix Berger, Pastor in Schwarzau.
(Fortsetzung von Seite 254.)
Ebenso wie das mystische Fernschauen gleichzeitiger Ereignisse
wohlbeglaubigt isi, gibt es auch viele gut konstatierte Fälle
von Vorausschauen in die Zukunft, ja sie
scheinen noch häufiger zu sein. Wir denken zunächst an solche
Zukunftsblicke in wachem Zustande; das Erblicken der
Zukunft im Schlaf zustand oder der Wahrtraum ist noch ein besonderes
Kapitel. Was die Menschen, die solche Sehergabe haben,
voraussehen, ist meistens etwas Unangenehmes, fast immer handelt
es sich um Unglück oder Tod. Diese „Spökenkieker"24), d. h.
Spukseher, sind daher um ihre Gabe keineswegs zu beneiden. Wir
meinen hier nicht das instinktive Fühlen eines bevorstehenden Unglücks
, nicht unbestimmte Vorahnungen eines unangenehmen
Kommenden, wo man vielleicht von Zufall, von reflektorischer
Verstandestätigkeit, von Kombinalionstalent und dergleichen reden
könnte25)» sondern solche Erlebnisse, die man als wirkliche
Visionen, als Traumbilder im Wachen am besten charakterisieren
kann. Das gesehene Zukunftsbild ist nicht diskursiv erklügelt,
sondern intuitiv im Moment gegenständlich erschaut, und gleichzeitig
sagt sich der Seher: So und so wird es kommen, so steht
es für die Zukunft fest. Manchmal bleibt wieder das Gesehene
rätselhaft, und erst wenn das so eigenartig Angesagte sich erfüllt
hat, tritt das Verständnis des Geschauten ein. Wir denken an das
zweite Gesicht Goethes vor Sesenheim, an den Bericht der Fröschweiler
Chronik, daß manche Leute an der Grenze die kriegerischen
24j Ygh die Erzählung von D. Darenberg ; „ Spökenkieker * im
„Türmer", September 1913, S. 735 ff.
25) Etwa wie Isadora Duncan, die berühmte Tänzerin, beim
Abschied von ihren Kindern deren Tod ahnt, oder wenn Goethe,
bei der Abfassung des Neujahrsgratulationsbillettes 1805 an Schiller
dreimal prophetisch sieh verschreibend, ihm zum letzten Neujahr
Glück wünscht.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0303