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Quade: Ueber die Existenz und die Eigenschaften Gottes.
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sinnreichen Organen geschaffen haben, die durch zufällige Mutation
und natürliche Selektion, durch Ausbildung infolge Mehrgebrauchs
und Verkümmerung infolge Nichtgebrauches zu erklären
noch vielfach nicht gelingen will. Er könnte weiter auch
die Gedankenwelt der höchsten Lebewesen beeinflussen. Er
könnte endlich für die Geister der Verstorbenen (die „Spirits")
eine Bedeutung haben. Nachweisen läßt sich aber weder, daß
eine ordnende Hand wirklich die Organismen entwickelt hat und
noch heute gelegentlich abändert, noch daß in der Geschichte
eine geistige Kraft die Gemüter der maßgebenden Persönlichkeiten
immer zum Guten gelenkt hätte. Ebenso wenig gibt es
irgend ein Anzeichen dafür, daß ein übergeordnetes, geistiges
Wesen am Schicksale der Menschen liebevollen Anteil nimmt,
Kummer über unsere Not, Befriedigung über unsere Frömmigkeit
empfindet. Gerade aber der Glaube, daß Gott den Menschen
ähnliche Gefühle besäße, macht ihn zum Gegenstand der Liebe
und des Vertrauens. Ein Geistiges, das dem Menschenherzen
nicht mehr sein kann, als ein Gott von den oben dargelegten
Eigenschaften, wird nicht Gegenstand einer Religion für die
Massen sein können.
Der Pantheismus verzichtet aus derartigen Erwägungen überhaupt
auf die Vorstellung eines persönlichen (bewußten)
Gottes; ist es doch für den Menschen fast unmöglich, sich eine
Persönlichkeit zu denken, die nicht in all ihrem Handeln von Ge-
fühlen, dem Streben nach Lust und der Vermeidung der Unlust,
gelenkt wäre. Es widerstrebt aber diesem am meisten philosophischen
unter den theistischen Systemen, das höchste Wesen
mit solchen menschlichen Attributen auszustatten. Der Pantheismus
kann sich über die Sinnlosigkeiten der Welt mit der Annahme
hinweghelfen, daß wir nur Teile des lebendigen Allgottes wären,
die ebenso wenig seine letzten Ziele und Absichten zu erkennen
brauchten, wie etwa ein doch zu unserem Körperverband gehöriges
weißes Blutkörperchen das Handeln des ganzen Menschen.
Hält aber der Pantheismus jedes anorganische Ding auf der Welt
für einen Teil Gottes, ebenso die Gestirne, so verläßt er ganz den
Bocien des Bewiesenen. Verschwommen, wie der Pantheismus im
allgemeinen ist, kann er über die Eigenschaften des weltlenkenden
Prinzips keine genaueren Auskünfte erteilen, noch eine Erklärung
der Weissagungen geben. Er ist eine Weltanschauung von hohem
poetischen Schwung, kaum zu widerlegen, aber fast unproduktiv
für den Fortschritt unseres Wiesens.
Es muß dem, welcher sich allein von der Erkenntnis leiten
lassen will, anheim gegeben werden, ob er sich für das panthe-
istisehe System, oder für die Annahme einer unbewußt wirkenden
geistigen Kraft, oder, zur besseren Erklärung der Weissagung, für
die einer mehr persönlichen psychischen Teilkraft von allerdings
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