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852 Psychische Studien. LXII. Jahrgang. 8."Heft. (August 1915.)
unserer Erklärung in Einklang zu bringen oder diese gänzlich
fallen lassen.
P h. : Wir müssen eben dann annehmen, daß die verstandesmäßige
Bejahung vorher im Unterbewußtsein stattgefunden
hat, ohne daß sich der Betreffende bis zu dem Augenblick
der Bekehrung dessen bewußt geworden ist.
T h. : Da sind wir alst> wieder vor Damaskus und beim
Un te rbewuß tsein.
0. : Gegen das alle Theologen ein großes Mißtrauen haben.
Und es ist ja auch, weil es sich so schwer erforschen läßt, sehr
viel Mißbrauch damit getrieben worden. Aber es ist nun einmal
da, und wir wissen, daß es eine erstaunliche Rolle in unserem
Leben spielt.
P h. : Es ist eben im Unterbewußtsein des Betreffenden ein
Umschlag ins Gegenteil eingetreten, und das Gesetz der
Bipolaiitäf1) hat auch hier seine Wirkung getan. Wenn jemand,
um ein Beispiel zu nehmen, den Glauben an den Erlösungstod
Christi für falsch hält, kann es leicht dazu kommen, daß er auch
das Gegenteil in Erwägung zieht und daß diese Erwägungen um
so stärker werden, je weniger er sich noch mit dem ursprünglichen
Urteil abgibt. .
T h. : Das wäre aber doch wohl nur ein vorübergehender
Zustand, und es ist mir doch sehr zweifelhaft, ob dao mystische
Erlebnis, das sich daraus entwickelt hat, auf jenen Menschen von
dauernder Wirkung sein würde.
0. : Wir sprechen ja auch gar nicht von der Wirkung dieses
Vorgangs, sondern nur von der Art, wie er selbst zustande kommt.
Ich habe übrigens bei den Studien, die ich in dieser Hinsicht gemacht
habe, meistens gefunden, daß gerade diejenigen, die jene
Wirkungen al^e Tage zu erleben meinten, am meisten über ihre
Sünden klagten; selbst ein Paulus, der jenes Erlebnis hatte, hat
das Wort gesprochen, daß er das Gute, das er wolle, nicht vollbringe
, aber das Böse, das er nicht wolle, das vollbringe er. Wir
haben es also hier offenbar nur mit Höhepunkten im Gefühls-
leben zu tun, wie wir sagten, mit Spannungsgefühlen; sind diese
l) Anm.: Daß z. B. Halluzinationen, auch wenn sie willkürlich
hervorgebracht werden, mitunter einen sehr negativen Ausdruck annehmen
, indem sie wider Willen des betr. auftraten und scheinhar
seinem Denken und Fühlen ganz entgegengesetzte Personifikationen
hervorbringen, hat aufs neue deutlich Staudenmaier gezeigt, dessen
Buch 'Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft, Leipzig 1912)
für das Studium der niederen Phänomene des Okkultismus, besonders
des Spiritismus, von höchster Wichtigkeit ist. Nach Stauden-
maier sind die Träger dieser Vorstellungen Gehirnzellen höherer
Ordnung, die imstande sind, empfangene Eindrücke selbständig
weiter zu verarbeiten, bis die Produkte dieser Tätigkeit in einem
geeigneten Augenblicke in unser Wachbewußtsein treten.
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