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358 Psychische Studien. XLII. Jahrgang. 8. Heft. (August 1915.)
— Meditation — Loslösen vom Körperlichen** usw. und war so
arm an Konkretem — eigentlich kam nur ein einziges Beispiel
darin vor, — daß der Zuhörer gar keine faßbare, bestimmte oder
auch nur gefühlsmäßige Vorstellung gewinnen konnte. Der
zweite Teil war bestrebt, eine Art Nutzanwendung auf unsere
„schicksaltragende Zeit** — wie sich der Vortragende ausdrückte,
zu bieten. Daß sich dabei für den Hörer kein großer Gewinn ergab
, ist nach dem bisher Gesagten klar. Der gegenwärtige Krieg
ist ein Kampf — so könnte man den Inhalt des Vortrages etwa
formulieren — um die mitteleuropäische Kultur gegen West und
Ost. Das Wesen dieser Kultur besteht in der idealistisch-geistigen
Weltanschauung im Gegensatz zu der materialistischen beispielsweise
der Engländer. Die mitteleuropäische Geistesrichtung ist
die des ununterbrochenen Forschens, das schließlich auch die
Wahrheiten der Geisteswissenschaften anerkennen wird. — Eine
solche Kultur zu konstruieren und sozusagen ohne jede volkswirtschaftliche
, sozialwissenschaftliche, ethnographische, vor
allem aber geschichtliche Orientiertheit und mit solcher Einseitigkeit
zu einer ebenfalls konstruierten westlichen in Gegensatz zu
bringen, bloß weil durch den gegenwärtigen Krieg die Mächte-
konstellation eine Gerartige ist, wirkte trotz aller praktischen Begeisterung
geradezu schmerzhaft und muß als eines so ernstgemeinten
philosophischen Vortrages völlig unwürdig bezeichnet
werden! Daß der Vortragende das Gesagte nur schlaff disponiert
hatte, daß er die Geduld der Zuhörer nahezu zwei Stunden
in Anspruch nahm, daß er so häufig Ausfälle gegen die ,,kon-
ventioielle Denkweise**, die Naturwissenschaften usw. unternahm,
daß er die .»Geisteswissenschaften** bezüglich der Methode und
der Resultate der Forschung häufig mit den Naturwissenschaften
verglich, während doch die Objekte beider weltenweit verschieden
sind, daß Seine Ausführungen sehr oft an die indische Religionsphilosophie
, an die mittelalterlichen christlichen Mystiker (Meister
Ekkhart) oder, um einen modernen zu nennen, an Kabisch erinnerten
, verstärkte nur den Eindruck, daß der Vortrag wenig
Bedeutendes und wenig Originelles bot. Linz ist ja kein Berlin
oder Wien, aber derartige Darbietungen muß es sich deshalb doch
nicht gefallen lassen. Hoffentlich bietet die Anthroposophische Ge
seüschaft, in deren Rahmen der Vortrag stattfand, zum nächsten
Male etwas Anderes! Dr. P.**
Die Beurteilung dieses der Krieg? katastrophe angepaßten
Vortrages ist hiernach keine besonders günstige. Dr. Steiner triu
mit der Behauptung auf, die Gabe der übersinnlichen Wah -
nehmung zu besitzen und vermöge dieser sich von der Existenz
eines Ätherleibes, eines Astralleibes und des Ichs überzeugt zu
haben. Die Art und Weise, auf welche St. hierzu gelangte, mu j
bei jedem Kenner des Somnambulismus Befremden erregen.
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