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376 Psychische Studien. XLII. Jahrg. 9. lieft. (September 1915.)
Lichter, die wiederholt das Gesicht des Mediums erleuchteten oder
die Musikinstrumente, Uhren usw. Ein Klavier, das 6 Zentner
wog, wurde von der Wand gerückt. Materialisationen wurden
nicht gesehen, da Anna sich weigerte, im Kabinett zu sitzen.
Dies ist im allgemeinen die Schilderung der Pflegemutter
Annas, Mrs. Milton, über den Verlauf der Dinge. Sie ist begeisterte
Anhängerin der spiritistischen Idee. Ihr Bericht ist
selbstredend nicht von wissenschaftlichem Wert. Der Laie geht
ja von Cartesianischen Annahmen aus: Was nicht bewußt
hervorgebracht ist, ist fremder Intelligenz zuzuschreiben, Glaube
und nicht Beweis spielt die Hauptrolle. Unterbewußte Agentien
sind ausgeschlossen, normale Ehrlichkeit ist angenommen: so hat
das Supranormale leichten Eingang in die Seele des Laien.
Nun im vorliegenden Falle ist tatsächlich der gute Glaube
und die Ehrenhaftigkeit vorhanden — der gewöhnliche
Betrug ist ausgeschlossen und dies verleiht dem Falle wissenschaftliches
Interesse.
Als die wissenschaftliche Untersnchung begann, waren die
Ansichten geteilt. Die Laien, die Bekannten und Freunde Miss
Anna Burtons, hatten sich überzeugt, daß sie keine betrügerischen
Mittel anwendete: sie waren der Ansicht, daß bei den Phänomenen
„Geister" im Spiele seien. Die Wissenschaftler verwarfen
jene Ansicht, wenn sie überhaupt die Tatsachen zugaben, aber ge-
wohnlich erklärten »e alles für Betrug.
Hyslop sagt sehr richtig, daß der Standpunkt beider Parteien
falsch sei. Es ist nicht notwendig, daß wir, weil die Tatsachen
oberflächlich angesehen, scheinbar dafür sprechen, Betrug eher
annehmen, als die Möglichkeit von Geistern. Die Erklärung kann
in dem einen, wie dem anderen Fall gleich absurd sein. Es ist
meistens nur um der laienhaften Behauptung von Geistern am
leichtesten zu entgehen, daß man den antagonistischen Standpunkt
einnimmt und auf Betrug schließt. Wäre der Wissenschaftler
nicht oft so unwissend, wie der Laie, so würde er Tatsachen
finden von tiefer Bedeutung, die zwischen und über dem
Horizont der beiden liegen. Die Erforschung der Phänomene
wird daher erst dann Erfolg haben, wenn beide Teile ihre Vorurteile
aufgeben. —
Prof . Hyslop zeigt nun in eingehender, Weise, wie wichtig
es in erster Linie ist, festzustellen, ob es sich um Hysterie in einem
gegebenen Falle handle, denn, sagt der Gelehrte, Hysterie
oder unterbewußte Phänomene irgend einer Art scheinen die
Basis aller mediumistischen Phänomene zu sein. Daher müssen
wir, wenn die Frage auf Betrug entschieden werden soll, d. h.
ob bewußte Absicht und Anstrengung zu täuschen vorliegt, stets
die Pflicht aneikennen, zuerst nach den hysterischen Verhältnissen
zu forschen. Erst wenn wir diesen Standpunkt ein-
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