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884 Psychische Studien. XLII. Jahrg. 9. Heft. (September 1915.)
Die magischen Operationen Cagliostros,
Von Hans Freimark, Berlin-Wilmersdorf.
(Schluß von 8. 3J4.)
Die sonstigen Begebenheiten während der magischen Operationen
Cagliostros können erst recht keinen Anspruch darauf
erheben, als übersinnliche Wahrnehmungen gewertet zu werden.
Man steht oft vor einem Rätsel, was man mehr bestaunen soll,
die Dreistigkeit mit der er seine Maßnahmen veranstaltet oder
die Gläubigkeit seiner Anhänger. So, wenn er den kleinen von
Medem ins Nebenzimmer gehen heißt, dort werde ihm ein
Geist erscheinen, dem möge er ausrichten, daß er sich bei Cag-
lioslio in der Nacht einzustellen und ihm auf seine Fragen Auskunft
zu geben habe. Das Kind tut, wie ihm aufgetragen erklärt
zurückkommend, den Geist gesehen und die Botschaft ausgerichtet
zu haben, und wird von seinen Verwandten geliebkost aus Freude
über die vermeintliche große Gnade, die dem kleinen Seher
widerfahren sei. Es ist gewiß nicht an dem, was Elise von der
Recke später annahm, daß Cagliostro sich das Kind geradezu abgerichtet
habe. Das war gar nicht nötig, denn alle Angaben,
deren es bedurfte, erhielt es von Cagliostro vor allen. Er sagte
stets: jetzt siehst du den und den oder das und das, und der tut
das und das. Selten, daß einmal eine Frage kommt, die die Antwort
unbestimmt läßt. Und wenn dies geschah, hatte Cagliostro
es stets in der Hand, die Angaben des Knaben in seinem Sinne
auszulegen. Dieses selbe Fragezeremoniell kam auch in der
Lyorer Loge zur Anwendung. Auch dort wurde das Medium von
den Leitern der Sitzung gefragt: siehst du den und den, trägt er
dies und das an sich usw. Es ist daher durchaus zutreffend,
wenn Cagliostro in seiner Denkschrift im Halsbandprozeß seine
magischen Operationen als einen Gesellschaftsscherz bezeichnet.
Viel mehr waren sie ungeachtet des aufgewendeten Rituals nicht.
An der gleichen Stelle gesteht er auch, daß er sich auf Veranlassung
des Kardinals zu einer Äußerung an die Gräfin de la
Motte verstanden habe, die scheinbar auf übersinnlichen Kenntnissen
beruhte und dazu dienen sollte, die Königin über ihr Schicksal
bei der bevorstehenden Niederkunft zu beruhigen. Er gibt
zu, diese Angabe lediglich aus Freundschaft füf den Kardinal gemacht
zu haben. Es kam ihm also jedenfalls nicht darauf an,
sich übersinnlicher Wahrnehmungen zu rühmen, obwohl er sie im
betreffenden Falle eingestandenermaßen nicht besaß. Sonderbar
ist freilich, daß, nachdem er im Halsbandprozeß die
magischen Prozeduren für einen Scherz erklärt hat, er im
Inquisitionsprozeß steif und fest dabei bleibt, sie aus einer besonderen
göttlichen Begabung vollzogen zu haben. Es scheint
seltsam unverständig, daß er im einen Falle seine Anhänger vor
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