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Hänig: Jolanda. Ein Gespräch über Keligionspsychologie. 399
sich aber wohl mehr um ein Gefühl gehandelt haben, das die
Hinterbliebenen beschlichen und ihnen die Gewißheit geben sollte,
alles sei von der Gottheit recht getan worden.
O. : Und zwar glauben wir das aus dem Inhalte jener
Überzeugung selbst schließen zu können. Wir hätten also dann
wieder, wenn auch graduell verschieden, ein Gefühl, das den
Hinterbliebenen eine bestimmte Gewißheit gibt. Ist das nicht so?
T h. : Das ist allerdings so.
O. : Was machen wir nun aber mit der verstandesmäßigen
Seite des ganzen Vorgangs? Denn Überzeugung ist doch, wie wir
eben festgestellt haben, zunächst nur eine verstandesmäßige Be-
jahung eines Satzes.
T h. : Der Geistliche sagte ja, daß die Hinterbliebenen sich
zu dieser Überzeugung durchringen sollten, d. h. sich zwingen,
diese Überzeugung zu bekommen. —
O. : Aber warum sollten sie das tun?
T h. : Offenbar um sich zu trösten und ihre frühere Seelenruhe
wieder zu erlangen.
0. : Mit anderen Worten, um aus dem gegenwärtigen Zustande
der Unlust herauszukommen, der dem menschlichen
Streben nach Lust und Harmonie widerspricht. Das können sie
aber nur, wenn sie jene Überzeugung bekommen.
T h. : Wobei freilich vorausgesetzt ist, daß diese Überzeugung
nicht dem widerspricht, was sie als logisch richtig erkannt
haben.
O. : Die Handlungsweise der Gottheit ist ja für sie etwas,
was sie nicht verstehen« auch wenn die Folgen für sie vielleicht
unangenehm sind. Wie würde also dann der Vorgang zu deuten
sein?
P h. : Indem die Hinterbliebenen, um aus dem gegenwärtigen
Zustande der Unlust herauszukommen, annehmen, daß
die Gottheit richtig gehandelt habe, als sie den Toten aus ihrer
Mitte nahm, zwingen sie ihr Urteilsvermögen, diesen Satz zu bejahen
, was sich dann auf ihr Gefühl überträgt. —
0. : Sie zwingen also, kürzer gesprochen, ihr Gefühl zur
Bejahung eines Satzes, der diesem Gefühl seinem Inhalte nach
zunächst widerstrebte, und sehen dann dieses Gefühl als Bestätigung
dieses Satzes an, obgleich der Ausgangspunkt dieses
ganzen Prozesses an einer ganz anderen Stelle liegt: in dem
Streben nach Harmonie und Freiheit von allen Unlustgefühlen.
Das Neue liegt also doch wol in dem Zwange, der hier ausgeübt
wird, während in dem vorigen Falle nur eine Bejahung von dem
Verslandesleben auf das Gemütsleben übertragen wurde; wenn
aber dieser Vorgang möglich ist, warum sollte das nicht erst recht
möglich sein, wenn jener Zwang dazu kommt, wie wir festgestellt
haben.
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