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^400 Psychische Studien. XLII. Jahrg. 9. Heft. (September 1915.)
T h. : Das ließe sich wohl verstehen, aber es bleibt doch
noch eine Unklarheit dabei. Was heißt das: das Gefühl zur Bejahung
eines Satzes zwingen?
0. : Es heißt nichts anders, als durch Bejahung jenes
Satzes das entsprechende Gefühl in sich hervorrufen, das jener
Bejahung entspricht
P h. : Also das Gsefühl der Ergebenheit in den Willen
Gottes, indem die Hinterbliebenen den Tod für den göttlichen
Willen hielten und dabei ihre Beruhigung fanden, da sie jenen
Willen für unabänderlich halten mußten.
0. : Wir haben also auch hier eine ganz natürliche Grundlage
für religiöse Vorgänge gefunden, ohne daß wir dabei eine
andere Erklärung zu Hilfe zu nehmen brauchten. Es ist eben der
Wille zum Leben und zum Glück, der sich hier wie überall in der
Natur beständig durchsetzt, der den Zerbrochenen zwingt, bei der
Religion Schutz zu suchen und in sich Stimmungen auszulösen,
die er vorher nie erlebt hat, der manchen Priester vielleicht gezwungen
hat, seinen Verstand dem Glauben zum Opfer zu
bringen, da er sonst um seine Stellung gekommen wäre, der
manchen Konvertiten aus der Zeit der werdenden Kirche dazu bestimmt
haben mag, sich dem neuen Glauben anzuschließen, obwohl
er dadurch alles, vielleicht auch sein Leben, verlieren
konnte.2)
P h. : Wobei im letzteren Falle natürlich nicht das Verlangen
nach dem Leben das Ausschlaggebende gewesen wäre,
sondern das nach dem Glück, wenn es auch nur im Jenseits erreichbar
war.
0. : Vielleicht mag das auch bei jenem Todesfalle mit in
Betracht zu ziehen sein: die Betreffenden trösten sich über den
Verlust mit dem Gedanken, daß sie alle im Schutze der Gottheit
geborgen seien, die ihnen vielleicht in irgend einer Weise, wenn
auch im Jenseits, Ersatz schaffen werde. —
T h. : Nur daß dann jeder Zwang wegfiele und wir in gewissem
Sinne denselben Vorgang hätten wie den am Anfang
unserer Besprechung. Es will mir allerdings scheinen, als ob auch
hier ohne jenes religiöse Grundgefühl nicht auszukommen sei,
das Du vorhin als bestehend zugegeben hast.
O. : Das ist wohl möglich, aber es würde auch hier, wie aus
unseren Darlegungen hervorgeht, nicht das Ursprüngliche dar-
2) Es wäre, nachdem Staudenmaier mit der willkürlichen Hervorbringung
spiritistischer Phänomene an sich selbst einen so guten
Anfang gemacht hat, eine sehr lohnende Aufgabe, Dasselbe aocn für
das Gebiet des religiösen Gefühlslebens zu unternehmen und so zu
zeigen, bis zu welchem Grade sich alle diese Phänomene auch willkürlich
hervorbringen lassen, ohne daß man andere Faktoren zu
Hülfe zu nehmen brauchte.
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