http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0419
, Wovon sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt . . 411
tragen, ein Begebnis, von dem die ganze Stadt weiß und mit Bedeutung
spricht. Der Zar weilte Ende April in Przemysl. Er besichtigte
Stadt und Werke, fuhr geschützt von einem Aufgebot
starker Truppenmassen durch die Straßen und vereinigte am
Abend die Spitzen seiner Armee und der Stadtbehörden zu einem
Festmahl im Offizierskasino. Hier erhob er sich zu einem Trinkspruch
. Sein väterliches Herz sei geschwellt von Stolz über die
herrlichen Waffentaten seiner Armee-Heere. Für immer werde
die Eroberung von Przemysl einen leuchtenden Markstein in der
Geschichte Rußlands bilden, und das Geschick dieser Stadt sei
von nun an mit dem Geschick des großen russischen Reiches verbunden
. Er leere sein Glas auf das russische Przemysl und auf
die herrliche strahlende Zukunft des Slawentums. — In demselben
Augenblick, als die Gläser klangen, erlosch plötzlich das
elektrische Licht, und der Zar und seine Gäste waren minutenlang
in tiefste Finsternis gehüllt. Ein Zufall, ein Fehler in der
Leitung, eine Stromunterbrechung —, aber Gerüchte drangen
hinaus und Deutungen liefen um, und Hoffnungen entstanden.
Und wenige Tage später, bei Gorlice, begann die Zerbröckelung
des russischen Kolosses . . Wir fügen hinzu, daß die Sache
nichts von ihrem okkulten Wesen verlöre, wenn eine „prophetische
Hand" die Stromunterbrechung bewirkt hätte. Das war
Ende April; gegenwärtig, wo wir schreiben, ist Galizien von den
Russen befreit, Warschau und Kurland sind in deutschen Händen,
und die Millionen-Armeen- des Moskowitertums sind fast vernichtet
.
„Wovon sich eure Schulweisheit nichts
träumen läßt . .
Aus dem Feldpostbrief eines Offiziers an einen früheren Lehrer.*)
Seit meinem Abiturientenexamen haben Sie zwar nichts mehr
von mir gehört, aber heute muß ich Ihnen einmal schreiben. Wir
liegen für ein paar Tage in Ruhestellung hinter der Front. Zwei
Tage nach der Mobilmachung wurde ich befördert und kam mit
hinaus nach Belgien und dann hinüber nach Frankreich; es war
oftmals wie in der Hölle. Nun wissen Sie vielleicht, daß ich
aus einer religiös gleichgültigen Familie stamme, und die Religion
hat mir — offen zugegeben, auch in Ihren Unterrichtsstunden —
wenig Kopfzerbrechen gemacht. Doch ist unbewußt manches
Wort hängen geblieben, und in Kampf und Not lernte ich einsehen
, daß Sie doch recht hatten, wenn Sie uns lehrten: „Das
Christentum ist die heldenhafte Form des Lebens**; und glück-
*) Aus der 50. Kriegsnummer des „ Daheimu (51. Jahrg. Nr. 42
vom 17. Juli 1915). — Eed.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0419