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Freudenberg: Streiflichter auf japanischen Kultus. 429
legenen Nikko angekommen, hatte ich nichts Eiligeres zu tun,
als im Hotel Quartier zu belegen und mich dann auf der Hauptstraße
aufzustellen, um dem Einzug des Kaisers beizuwohnen.
Der Straßenschmuck war einfach, aber sehr ansprechend. Im
ersten Wagen saß der Kaiser in Kakiuniform mit seinem Söhnchen
, im zweiten die wieder europäische gekleidete Kaiserin in
Weiß mit einer Hofdame. Es folgten Wagen mit Ministern und
hohen Militärs, alsdann in Rikschas eine Anzahl Frackträger mit
Cylinderhüten. Lautlos fuhr der Zug vorüber. Ich war der
einzige, der geradeaus auf den Kaiser hinsah. Alle Welt stand
gebückt, den Blick ängstlich zu Boden gewandt. Denn noch gilt
hier in diesen ländlichen, besonders kaisertreuen Revieren der alte
Satz: wer den Mikado, den Sohn der Sonnengöttin, anzuschauen
wagt, wird zum Buddha, d. h. muß sterben. War doch kurz vorher
selbst in Tokyo bei einer Ausfahrt des Kaisers ein begeisterter
Japaner, der, statt sich zu verneigen und zu schweigen, „Banzei",
d. h. „hoch" oder „huna" gerufen hatte, unverzüglich von einem
Schutzmann niedergeschlagen worden. Zehn Minuten später, als
ich den Weg nach den berühmten Tempeln von Nikko nahm,
deretwegen man die Reise dorthin unternimmt, begegnete ich dem
Kaiser nochmals, der jetzt völlig allein, ehe er seinen Sommerpalast
betrat, den Gräbern seiner Ahnen seine Verehrung bezeigen
wollte. Diese haben hier in einem schönen Tempel mit
hübschem Landschaftgarten ihre Ruhestätte. In eben diesem
Garten liegt auch ein Tempel mit einem Kloster, einer bud-
dhistischen Sekte gehörig. Ein Bonze zeigte mir dort das Bild
seines Meisters Taurais und gab mir einen Grundriß seiner Lehre,
die in einer Empfehlung der Einfachheit im Denken und Handeln
gipfelt. Was aber die Haupttempel und Grabdenkmäler betrifft
, deren Besichtigung ich den Rest dieses Tages und der
nächst folgenden widmete, so muß ich gestehen, daß ich, trotz-
dem ich schon viel Schönes in Japan gesehen hatte und es hier
bei zwei in Restauration begriffenen Hauptgebäuden nicht günstig
traf, doch aus dem Staunen und Bewundern nicht herauskam.
Namentlich der Jeyasutempel, Jeyasus-Grabmal und das Grabmal
des Jemitsu sind von entzückender Schönheit im Äußeren und
Innern und bergen eine unerhörte Menge wertvollster Kunstgegenstände
in sich. Ursprünglich buddhistisch, sind viele Teile
dieser großartigen Tempel- und Grabanlage seit der Erklärung
des Shinto zur Staatsreligion in shintoistische Heiligtümer umgewandelt
. Die Nios, d. h. die Tempelhüter, sind an der alten
Stelle wenigstens verschwunden und haben dem himmlischen und
dem koreanischen Löwenhund Platz gemacht. Dort flattern
jetzt munter die Goheis und den Altar ziert der runde Spiegel.
Noch aber steht unverändert die Halle der drei Buddhas, auf dem
Altar die große vergoldete Figur des Lichtgottes Amida mit der
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