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Freudenberg: auf Streiflichter japanischen Kultus. 431
Auch über den Paß des vulkanischen Nantai-san zum
Chuzenjisee bin ich hinaufgestiegen, wo auf alpiner Berghöhe
ein schlichter Shintoschrein, von Goheis umflattert, sturmgp-
peitscht die Wacht hält. Und trotz manchem Verdrießlichen muß
ich doch zum Schluß mit dem japanischen Sprichwort bekennen:
„Brauche nicht das Wort großartig, bevor du Nikko gesehen
hast**.--
Nirgends hatte ich soviel Gelegenheit, zu deutschen, in Japan
lebenden Kaufleuten in Beziehung zu treten, als in Kobe. Alle
diese waren darin einig, daß der Verkehr mit den Japanern
äußerst schwierig sei, und daß zur Zeit für Europäer in Japan
wenig geschäftliche Aussicht bestehe. Alle hoben auch — im
Gegensatz zu den chinesischen Kaufleuten, über die nur eine
Stimme des Rühmens herrscht — hervor, daß der Japaner durchaus
unzuverlässig sei. Eine heute gemachte Bestellung wird
morgen widerrufen oder verändert. An tadellos nach Auftrag gelieferter
Ware hat der verschmitzte Empfänger immer noch etwas
auszusetzen, woraus er das Recht herzuleiten sucht, nachträglich
den Preis zu drücken. Um auch das einfachste Geschäft zustande
zu bringen, macht sich vorher langes, ermüdendes Feilschen nötig.
Dazu ist Japan in vielen Erzeugnissen nicht mehr auf das Ausland
angewiesen, sondern es produziert selbst. In dem Bestreben
aber, in allem es Europa gleich oder gar zuvor zu tun, soll
mancher Fehlgriff begangen werden, indem man mit den alier-
modernsten Einrichtungen ausgestattete Industrien ins Leben ruft,
für die weder im Inland, noch auch im Ausland der richtige Absatz
vorhanden ist.
Die Hafenstadt Kobe-Hyogo mit etwa 400 000 Einwohnern
besitzt eine starke europäische Kolonie und schöne Umgebung.
Mehrere Tempelanlagen der Stadt sind überhaupt sehr sehenswert,
vor allem der ganz im Grün von Kryptomerien und Kampferbäumen
versteckte Ikutatempel, um den sich bei meinem zweiten
Besuch Kobes ein riesiges Markttreiben gelegentlich eines Tempelfestes
entwickelte. Der Nofukujitempel enthält einen 16 Meter
hohen ganz hübschen Daibutsu in Erz mit einem Amidaaltar und
vielen als Opfergaben aufgehängten Metallspiegeln im Innern.
Der Metallspiegel ist dem Buddha wie dem Shinto eigentümlich.
Es heißt, letzterer habe ihn ersterem und zwar speziell der dem
Shintoismus sich nähernden buddhistischen Shingonsekte entlehnt.
Ich vermag das aber kaum anzunehmen; denn wenn ich auch
nicht glaube, daß der realistische Japaner mit diesem Emblem
tiefgründige philosophische Ideen, wie „Erkenne dich selbst** oder
„Das Weltall das Spiegelbild Gottes** ausdrücken will, so ist es
mir doch unmöglich, die Beziehung des runden Spiegels zur
Sonne zu verkennen. Der runde Spiegel aber ist neben dem
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