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432 Psychische Studien. XLII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1915.)
16-blättrigen Chrysanthen!, welches als Kreis mit Strahlen auch
hierher gehört, das Sinnbild des Kaisers, und dieser ist der Sohn
der Sonnengöttin. Ich meine, diese Sache läge einfach genug,
und der Kamidienst brauchte sich nicht erst dieses Emblem vom
Buddhismus zu borgen. Ferner erzählt uns der Urmythus der
Shitoisten, daß die streikende Sonnengöttin nur durch Vorhalten
eines Spiegels dazu bewogen werden konnte, ihre Tätigkeit wieder
aufzunehmen. Hiermit ist also seit den ältesten Zeiten japanischer
Erinnerungen der Zusammenhang zwischen Sonne und Spiegel
festgelegt, Schein und Gegenschein, wie ich den Mythus deuten
möchte.
Nahebei liegt der Shinkojitempel mit einem schönen Bronze-
amida und ein kleineres gleichfalls buddhistisches Sanktuarium
mit einem Hautrelief der lebensgroßen Kwannon, dadurch merkwürdig
, daß der Künstler nicht nur die Fingernägel, sondern auch
die Zehennägel viele Zoll lang aus der Fläche hervorragen ließ.
Das Bild ist wohl chinesischen Ursprungs, denn der Japaner
schneidet mit öfterer Ausnahme der beiden kleinen Finger seine
Nägel an den Händen kurz; lange Fußnägel habe ich übrigens
auch in China weder im Leben, noch in Bildern gesehen.
In einem kleinen, nahe dem Meeresstrand gelegenen Tempel
stieß ich auf eine buntfarbige gräßliche Darstellung der buddhistischen
Höllenstrafen. Die Frauen hatten dabei ungalanter
Weise den Vorrang. Mit den buddhistischen Höllenstrafen hat es
aber insofern nicht allzuviel auf sich, als sie wenigstens nicht als
ewige gelten. Selbst die Teufel (Dämonen) sind von einer
schließlichen Erlösung nicht ausgeschlossen.
(Die namhaftesten Höllendarstelungen Japans befinden sich
übrigens in dem Anrakujikloster zu Kyoto. Merkwürdigerweise
sind sie automatisch zustande gekommen und, wie die Bilder der
bekannten Genferin Helen Smith, von japanischen spiritistischen
Medien gemalt. Am wirkungsvollsten erscheint unter ihnen der
dreifache Kakemono, welcher die Geschichte der berühmten
Schönheit und Malerin Onono-Komachi behandelt. Ihr Leben,
ihr Tod und ihre Existenz nach dem Tode ist mit machtvollem
Pinsel dargestellt, aber mit erschütternden Details.)
Ein mehr seiner Lage als seiner äußeren Erscheinung wegen
besuchenswerter Tempel in der Nachbarschaft Kobes ist der auf
dem waldigen Gipfel des Mayasan, der höchsten Bergspitze der
ganzen Gegend, gelegene und Buddhas Mutter geweihte Tempel.
Gleich einem katholischen Stationsweg begleiten den Aufstieg Bud-
dhadarstellungen, meist solche Buddhas als Kind, wie schon
früher erwähnt. Der oben ohne alle Bequemlichkeit einsam
hausende Bonze schien sehr erfreut, als eine Pilgerin mit der Teekanne
anrückte und ihm auch ein „Schlichen heißen" zukommen
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