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444 Psychische Stadien. XLII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1915)
Dieser Weg kann sich unmöglich mit dem einer gesunden
natürlichen Entwicklung decken, dessen Richtung durch den allen
Wesen gemeinsamen Trieb nach Glück deutlich vorgeschrieben ist.
Die Natur kann sich doch nicht in einer Weise widersprechen,
daß sie allen ihren Wesen den Glückstrieb einpflanzt und sie
gleichzeitig einem Gesetze unterwirft, das, indem es der Befriedigung
dieses Triebes direkt entgegenwirkt, ihn gleichsam
Lügen straft.
Wenn Andrew Jackson Davis behauptet: „Die Gesetze
der Natur gehen auf ein einziges Ziel, nämlith auf die Herstellung
vollkommener Harmonie", so gerät seine Philosophie mit
dem allgemeinen Glückstriebe nicht in Widerspruch, da allgemeine
Harmonie die Bedingung ist für allgemeines Glück. Wahres
Glück oder Glückseligkeit beruht auf den Gefühlen, welche durch
das Empfinden innerer und äußerer Harmonie erweckt werden.
Solche Gefühle können auch aus einer uns angemessenen harmonischen
Tätigkeit entspringen, darum hat auch Aristoteles seinen
Begriff von der Glückseligkeit im Hinblick auf diese gefaßt.
„Tätigkeit und Lust", sagt er, „sind durch ein natürliches Band
unzertrennlich verbunden und bilden in ihrer Vereinigung, wenn
sie durch ein vollkommenes Leben hindurchgeführt werden, die
Glückseligkeit." Daß Glückseligkeit ( evd afiovia) das von
allen Menschen angestrebte höchste Gut sei, darüber sei man dem
Namen nach einig. Über den Begriff der Glückseligkeit jedoch
sei Streit (Schwegler, „Geschichte der Philosophie", Leipzig, Ph.
Reclam jun.).
Daß man sich über den Glücksbegriff nicht zu einigen vermag
, ist wohl selbstverständlich, da mit einer Höherentwicklung
auch das menschliche Glücksbedürfnis sich verfeinert und veredelt
. Da die Entwickelung vom Physischen zum Geistigen vorschreitet
, so muß die Harmonie einer dementsprechenden Wandlung
unterworfen sein, wobei es nicht ausgeschlossen erscheint,
daß durch Störungen der physischen Harmonie der Geist entwickelt
und auf diese Weise die physische durch Disharmonie hindurch
allmählich in die geistige Harmonie übergeleitet wird. „Vergeistigung
", sagt Prentice Mulford, „bedingt wachsende
und nuancierte Freude am mannigfaltigen Schönen. Vergeistigung
bedeutet einfach die Fähigkeit, immer höhere und subtilere
Quellen des Glückes in allen Dingen zu entdecken." —
Daß man heute dahin gelangte, Macht mit Glück zu identifizieren
, läßt erkennen, bis zu welcher Höhe die Prävalenz des
Egoismus bereits gediehen ist. Es bedeutet geradezu die Monokratie
der Selbstliebe, welche Swedenborg symbolisch als
die Herrschaft des Teufels bezeichnete. Das Lustgefühl, welches
diese Liebe in ihrer Extremität gewährt, schildert uns Swedenborg
wie folgt: „Es wurde mir zu empfinden gegeben, von
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