http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0453
Kaindl: Geisterwissenschaft und moderme Kultur. 4 5
welcher Art und wie groß die Lust der Herrschbegierde aus Selbstliebe
sei; ich wurde in dieselbe versetzt, um sie kennen zu lernen,
und sie war so beschaffen, daß sie alle Lustreize in der Welt
übertraf; sie war eine Lust des ganzen Gemütes vom Innersten
bis zum Äußersten, im Körper aber wurde sie nicht anders
empfunden, denn als etwas Wollüstiges und Fröhliches, wobei die
Brust sich hob. Auch wurde mir zu empfinden gegeben, daß aus
jener Lust, wie aus ihrer Quelle ajle anderen Lüste hervorquollen
.'* —
Der aus der Monokratie des Egoismus hervorgehende Glückstrieb
verfällt, weil der ihn regulierenden Gegenkraft entbehrend,
der Maßlosigkeit, die, weil sich die Genußfähigkeit dadurch erschöpft
, ihn an den Sandbänken der Unbefriedigung stranden und
an den Klippen des Überdrusses scheitern läßt. Der von diesem
Glückstrieb Verführte mag sich mit Goethes Faust fragen:
„Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus'te?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus'te,
Begierig wütend nach dem Abgrund zu?"
Gegen diesen Glücks trieb erweist sich der Verstand als
machtlos, weil er seine Selbständigkeit in demselben Verhältnisse
an den Egoismus einbüßt, in dem die Prävalenz des letzteren über
den Altruismus sich erhöht, denn, sagt Swedenborg — und dies
dürfte man auch durch die Erfahrung bestätigt finden —, die
Liebe des Willens flößt dem Verstände ein, was sie will und nicht
umgekehrt; sie zerstört vielmehr alles, was im Verstände nicht
von ihr ist."
Unsere moderne Zeit liefert eine traurige Illustration zu
dieser Wahrheit: ihrer hochentwickelten Intelligenz und Kultur
zum Trotz zeigt sie doch nur die widrige Teufelsfratze des extremsten
Egoismus („sacro egoismo")! Weniger abstoßend würde
sie zweifellos ohne die Mitwirkung des Verstandes ausgefallen
sein.
„Ein wenig besser würd' er leben,
Hätt'st Du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben.
Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein."
(Goethes Faust.)
Im Vergleich mit dem Unglück, welches der ungezügelte
Egoismus über diese Welt gebracht, erscheinen selbst die Höllenqualen
eines Dantes als ein harmloses Kinderspiel. Wäre der
Genius der Menschheit vom brutalen Egoismus nicht geknebelt,
so müßte er, wie Faust, dem Mephistopheles in ungerechtem Unwillen
den Vorwurf entgegenschleudern:
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1915/0453