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. Wovon sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt . . .* 459
ich das „Rauchwerk" kameradschaftlich mit meinen Leuten geteilt
habe, wie wir hier Uberhaupt so ziemlich alles unter einander
gemeinsam haben. So oft es mir möglich ist, futtere ich auch mit
ihnen aus ihrer Gulaschkanone.
Hier im Felde ist ja doch jeder in Freud und Leid auf den
andern angewiesen, und wenn nach wiederholten Feldpost-
Stockungen einmal für einzelne Leute 15 bis 20 Futter- und
Rauchpakete zu gleicher Zeit ankommen, versteht es sich von
selbst, daß man nach Herausnahme der Briefe mit denen teilt,
die das Schicksal diesmal vergessen hat, oder denen spendende
Angehörige gänzlich fehlen. Dieser Zug geht übrigens durch
alle meine Leute hindurch; und man glaubt es gar nicht, wie
zartfühlend unsere Feldgrauen sind, damit das Beschenktwerden
von jenen Vergessenen nicht drückend empfunden wird. Da
heißt es: „Du, Franz, probier' mal, ob nicht die Zigarren, die
meine Frau das letzte Mal geschickt hatte, besser gewesen sind!*'
oder: „Kinders, ich glaube, die Wurst ist zu frisch, die hält sich
nicht; Franz, hilf mir mal einen Fetzen verdrücken!"
Übrigens pflege ich auch nach vollbrachtem Tagewerk nie-
mals den Unteroffizierer die Fürsorge für die Kompagnie allein
zu überlassen, wodurch die armen Leute ja gar nicht zur Ruhe
kämen, sondern ich kümmere mich selbst darum. Da geht's einmal
fixer, sodann weiß ich auch, daß jedes und alles seine
Ordnung hat. Dafür gehen aber auch meine Leute für mich
durchs Feuer, und wenn ich*einmal in Zeiten der „Not" frage:
„Leute, wer hat noch eine ungerauchte Zigarre?" dann will jeder
mir seinen Vorrat aufdrängen, und mit fröhlichem Feixen schauen
sie zu, wie ich mir das anscheinend ungefährlichste Kraut aussuche
.
Die „Charakter- und Zeitbilder", die mit den Zigarren
kamen, lese ich eben mit Muße, denn hier im Feldlazarett habe
ich Zeit im Überfluß. Übrigens, wie manches Gedruckte aus dem
Büchlein mahnt mich an lebendige, gesprochene Worte aus meinen
Schuljahren. Ach wie war man doch so froh, als man der Schule
entronnen war und des Kaisers Rock tragen durfte; hier aber im
Schlachtengetöse gedenkt man gern an sie, wie an einen schönen
längst entschwundenen Traum. Ich habe mich wirklich gefreut,
daß Seine Majestät ein Exemplar des Buches entgegengenommen
hat; es ist ein treffliches Schriftchen. (Gemeint ist das Buch
von Professor Gros: Charakter- und Zeitbilder. Verlag von
E. Roth, Gießen.)
Also, ich bin verwundet, ich kann Gott danken, daß ich
nur verwundet bin, denn der Tod ist im Verlauf von ein paar
Tagen mir mehr als einmal dicht zur Seite gestanden, während wir
mutig dem feindlichen Artilleriefeuer standhielten und sogar in
dem brodelnden Hexenkessel noch erfolgreich vorrückten. Zwei-
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