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Freudenberg; »Streiflichter auf japanischen Kultus. 479
in einem andern Tempel bei. Dort sitzt ein Bonze und nimmt die
Wünsche der Andächtigen entgegen. Hat er alles gehört, was
einer auf dem Herzen hat, so schreibt er es — gegen Entgelt —
nieder, eben auf solche Holzplättchen mit Pinsel und Tusche.
Dies frisch beschriebene Täfelchen reicht er einem zweiten Bonzen,
der den Inhalt dem Altar zugewendet — gegen Entgelt — dem
Gott vorliest. Alsdann empfängt es der Gläubige, der sich nun
zu dem Tempel mit dem Teich in der Tiefe begibt und es ins
Wasser wirft, um es nach einer Weile mit der Schöpfkeule, die
ihm der dortige Bonze - gegen Entgelt - reicht, wieder heraus
zu fischen. Soweit die Tusche nicht verwischt ist, darf er nun
das, was er schwarz auf gelb besitzt, gelrost nach Hause tragen.
Die hiesigen Schildkrötenbonzen aber dürfen anscheinend keinen
Mangel leiden.
In Osaka beobachtete ich erstmalig, wie später auf dem
Kamagawa in Kyoto und Ganges in Indien, kleine im Fluß
schwimmende Schiffchen mit einem Lichtchen. So zeigt sich
hier wie in allen primitiven Religionen das Empfinden eines
mystischen Zusammenhanges zwischen Meer und Schattenreich.
Alle diese Schiffchen, weiche man hier wie dort auf den Fluten
treiben sieht und die schließlich ins Meer fließen, sind nichts
anderes als Weihgeschenke für Tote. Auch der Grieche tritt die
Reise zum Hades übers Wasser an, und der Germane läßt seine
Kinder aus dem Brunnen ans Tageslicht treten. Wie schon der
griechische Weise, gleich unserer heutigen Naturforschung, im
Meere die Quelle alles Lebens sah, so ahnt der Volksgeist einen
Zusammenhang, der sich auch in der umgekehrten Richtung für
ihn geltend macht. Daher das Ablassen der lichtgeschmückten
Schiffchen, zumal am japanischen Allerseelentag. - -
Wer ureigenes, von europäischem Einfluß unberührtes
Japanertum kennen lernen will, der hat dazu wohl kaum irgend-
wo bessere Gelegenheit, als in der alten Kaiserstadt Kyoto und
seiner Umgebung8 Hier habe ich denn auch weitaus den längsten
Teil meines Aufenthaltes in Japan zugebracht, Woche um Woche
zugegeben und mich schließlich nur schwer von dieser wunder-
baren Stadt und ihren freundlichen Bewohnern losgerissen. Die
Bevölkerung ist dort weit fremdenfreundlicher als die Bewohner
von Tokyo z. B., auch - nebenbei bemerkt - dem gegen-
wärtigen Krieg gegen Deutschland durchaus abgeneigt.
Wohnung nahm ich im Daibutsuhotel, welches seinen Namen
von der riesigen, aber grotesken und unschönen Holzfigur Buddhas
herleitet, die sich anstoßend in einem Tempelhain befindet.
Dort steht auch eine mächtige Glocke. Hierüber wenige Worte,
jedes bedeutende Heiligtum besitzt eine möglichst große Tempelglocke
, und es gibt in Japan fast so viele „größte" Glocken, wie
heilige Röcke in der Christenheit. Sie sind stets in besonderen
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