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82 Psychische Studien. XL1I. Jahrg. 11. Heft. (November 1915).
bildete und sprachenkundige Beamte — mit den Worten: „Unsere
Meister sind gewohnt, nach der Natur zu arbeiten; hier aber hat
der Künstler ein chinesisches Original zur Hilfe nehmen müssen,
da es in unserem Lande keine Tiger gibt.**
Einen noch großartigeren Eindruck als der Kaiserliche Palast hat
die Shogunenburg Nijo no Shiro auf mich gemacht, wo neben den
Mikados ihre Herren, die Shogune, zeitweilig residierten. Das
Schloß besteht aus fünf Palästen, einer kostbarei als der andere,
mit zahlreichen Kunstwerken ausgestattet Was hier in 32 Sälen
an Kunstschätzen (Wandbilder, Türdekorationen, Decken- und
Friesverzierung und Schnitzereien in reichster Vergoldung) zu
sehen ist, spottet jeder Beschreibung. Prachtstücke der Malkunst
sind die „schlafenden Finken** und „Fasan im Regen", von
Holzskulpturen eine durchsichtige Sürporte, auf der einen Seite
Begonienzweige, auf der anderen Pfauen darstellend, ohne daß die
beiden Darstellungen einander im geringsten störten. Hier sah
ich auch die Zimmer, welche der deutsche Kronprinz während der
für dieses Jahr festgesetzten Kaiserkrönung bewohnen sollte. Das
ist nun inzwischen anders geworden. Kommt er heute nach
Kyoto, so wird er wohl nicht dem Tenno die Krone aufsetzen
helfen, sondern ihm vielmehr eine Perle aus dieser herausklauben,
die da nicht hinein gehört, die Perle Ostasiens, Tsingtau. —
(Fortsetzung folgt.)
Telepathie in der Todesstunde, Todesahnung,
Todes vor&usag:e.
Von Professor Gr. in O.1)
Ehe ich vor nunmehr zwölf Jahren ins höhere Schulamt
übertrat, war ich über ein Jahrzehnt Geistlicher; im Anfang meiner
Amtstätigkeit habe ich persönlich ein merkwürdiges Beispiel von
Telepathie erlebt. Meine Eltern lebten in einem mehrere Stunden
entfernten Orte, wo mein Vater als Hauptlehrer angestellt war.
Meine Mutter, die infolge mehrerer mißlungener Augenoperationen
seit ungefähr acht Jahren fast gänzlich erblindet war, kränkelte
zwar, doch gab ihr Leiden eigentlich keinen Anlaß zur Besorgnis;
aber so oft es mir trotz meiner vielen Arbeit möglich war, besuchte
ich mein Elternhaus; meist zweimal im Monat.
*) Der Herr Verfasser der beiden „Daheim*-Feldpostbriefe
(Sept.-Heft 411 u. Okt.-Heft. S. 458) schreibt uns zu dieser
g tigen Einsendung: „Anbei sende ich Ihnen einen Beitrag zu Ihrer
Zeitschrift ein, der seiner Zeit in der im ersten Feldpostbriefe erwähnten
Schulstunde von mir besprochen wurde und die Veranlassung
zu dem Hamlet-Zitate gab." — Unsere Leser ersehen daraus,
daß es sich in diesem Fall um bestbeglaubigte wirkliche Erlebnisse
handelt. — Red.
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