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Kaindl: Freie Gedanken eines rassisehen Dogmatikers. 501
Schrift, die man uns nimmt, uns befohlen wird an die Unfehlbarkeit
der Meinung der Menge zu glauben und wenn man verlangt,
daß wir die Stimmenmehrheit für die unbestreitbare und unfehlbare
Stimme der Wahrheit halten sollen." (S. 204, 205.) —
Die verhängnisvollen intellektuellen Verirrungen des Darwinismus
behandelt Pobedonoszew in dem Kapitel „Der neue
Glaube", und er äußert sich darin über ihn unter anderem wie
folgt: „Dem Oberapostel des Darwinismus erscheint offenbar der
Schutz des Starken und die Ausrottung des Schwachen als Grundgesetz
des Daseins. Und dieselbe Regel will er augenscheinlich
zum wirklichen Gesetz für die bürgerliche Gesellschaft erhöhen.
Das wird eine traurige Zeit — falls sie jemals anbrechen
sollte —, wenn der heutzutage gepredigte Kultus der Menschheit
eingeführt wird. Die menschliche Person (das Individuumi) wird
in ihr nicht viel bedeuten; auch die jetzt gegen Gewalttätigkeit
und Herrschsucht bestehenden Schranken werden fallen. Im Namen
der Doktrine werden, zur Erreichung eingebildeter Ziele für die
Vervollkommnung der Art, die allerheiligsten Interessen der persönlichen
Freiheit zum Opfer gebracht werden, ohne die geringsten
Gewissensbisse. — — Man sieht, bis zu welcher
äußersten Grenze eine einseitige Idee eigener Erfindung führen
kann. Außer ihr sieht der zukünftige Gesetzgeber der Gesellschaft
nichts und erkennt offenbar für das Leben und die Entwicklung
keine anderen als physiologische Motive an. Sittliche
Motive erwähnt er gar nicht. Starke und schwache Organismen
erscheinen ihm als Zahlen, als abstrakte Größen, die er mathematisch
berechnet. Er fragt nicht einmal, ob seine Starken wirklich
stärker werden durch den Untergang aller Schwachen.** —
Im Darwinismus hat es der menschliche Egoismus mit Hilfe
der von ihm aufgestachelten Verstandeskraft scheinbar dahin
gebracht, sich naturwissenschaftlich zu begründen; Versuche einer
philosophischen Rechtfertigung desselben wurden, wie die Ge-
schichte der Philosophie lehrt, wiederholt gemacht, und sei hier
nur an den Sensualisten Helvetius erinnert, der die Pflichten des
Menschen aus der Selbstliebe ableitete. Der persönliche Charakter
Darwins mag wie jener des Helvetius, weil im Gegensatze mit
ihrer Lehre, dazu beigetragen haben, den egoistischen Ursprung
ihrer Doktrinen etwas zu verschleiern und an sie, als unvermeidliche
Resultate von Denknotwendigkeiten glauben zu lassen. Am
augenfälligsten zeigt sich der Egoismus als die eigentliche Triebfeder
des Denkens im Nietzscheanismus, in dem er die wunderliche
Blase des Übermenschen trieb. —
In den Systemen der christlichen Theologie wird der Egoismus
\ornehmIich in dem Bestreben offenbar, den Menschen, um
ihm eine privilegierte Sonderstellung zu sichern, von der übrigen
Natur loszureisen. Des egoistischen Ursprunges verdächtig er-
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