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08 Fsy chische Studien. XLII. Jahrg. 11. Heft. (November 1915.)
wäre, das durch jenes Leben eine Verbesserung seiner Lage zu
erreichen hoffte. Jene Sehnsucht aber, wenn wir sie genauer betrachten
, hat doch gar nichts mit Egoismus zu tun, sondern
scheint vielmehr einem anderen Etwas in uns seinen Ursprung zu
verdanken, das etwas Anderes und Reineres wie unser Ich darstellt
. Vielleicht ist aber auch unsere Definition nicht einmal
ganz richtig gewesen, wenngleich wir sie deshalb nicht umzustoßen
brauchten.
0. : Wir haben die Sehnsucht in religiöser Hinsicht als
Lust und Liebe zum Unendlichen erklärt.
T h. : Vielleicht müssen wir, wenn unsere Erklärung vollständig
sein soll, dann noch etwas hinzufügen, nämlich die Unlust
darüber, daß wir das, was wir wünschen, noch nicht haben,
sondern erst später vielleicht zu erlangen hoffen.
0. : Wir müßten dieses Gefühl also eher mit einem anderen
Gefühl zusammenbringen, das sich auf irdische Dinge bezieht und
das wir daher außer Acht gelassen haben.
T h. : Welches sollte das sein ?
0. : Ich meine das Gefühl, das im Menschen auftritt, wenn
er sich nach einem Lande sehnt, das er liebt und das er doch
nicht sogleich erreichen kann: das Heimweh. Denn wie sollen
wir das Heimweh anders deuten, denn als Liebe zur Heimat, verbunden
mit der Unlust, nicht bei dem geliebten Gegenstande zu
sein?
T h. : Und zwar als Liebe, die nicht durch Egoismus entstanden
ist, sondern durch das Gefühl der Zusammengehörigkeit
mit dem heimatlichen Boden, auf dem der Betreffende das Licht
der Welt erblickt hat.
0. : Wodurch entsteht aber jenes Gefühl der Zusammengehörigkeit
?
T h. : Doch wohl durch die Eindrücke, die der betreffende
in seiner Kindheit von seiner Heimat empfangen hat, sei es weil
die ersten Eindrücke die stärksten sind, oder weil er an dieser
Stätte Gutes empfangen hat und ihm davon eine dankbare Erinnerung
geblieben ist.
0. : Oder weil er an dieser Stelle auf die Welt gekommen
ist und seine Eltern, besonders seine Mutter, ihrerseits durch
Assoziationen mit jenem Teile der Welt \erbunden sind, so daß
sich das Gefühl der Zusammengehörigkeit von den Eltern auf
das Kind überträgt. Jedenfalls weil das Kind durch gedächtnismäßige
Assoziationen mit der Heimat verbunden ist. Wie müßten
wir also hiernach die Sehnsucht nach dem Unendlichen deuten?
T h. : Als Liebe zu ihm, die durch Rückerinnerung im
Menschen entsteht, verbunden mit der Lust zu diesem Gegen-
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