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Freudenberg: Streiflicnter auf japanischen Kultus. 529
Eine häßliche Sitte ist bei Frauen, die als Witwen nicht mehr
heiraten oder als Ehefrauen keinem anderen Mann gefallen wollen,
sich die Haare kurz abzuschneiden und die Mundhöhle kohlpechrabenschwarz
zu färben. Beim Sprechen sieht das geradezu
grauenvoll aus. Zwar soll dieser Gebrauch jetzt abkommen, doch
habe ich in Kyoto öfters so entstellte Frauen gesehen.
Interessant ist es, einen Blick in die große Sporthalle zu
werfen, wo unter anderem die Nachkommen der Samurai mit den
mächtigen Ritterschwertern, die mit zwei Händen geführt werden,
gewaltig aufeinander lospauken. Der Kopf ist durch einen Drahtkorb
geschützt und die Bandagierung die gleiche wie bei unseren
akademischen Säbelmensuren.
Zu dieser Butoku-den genannten stattlichen Übungshalle,
welche einer vornehmen, auch aus Damen bestehenden Gesellschaft
gehört, hat der Fremde zuvorkommenderweise unentgeltlichen
Zutritt und kann hier auch die holde Weiblichkeit mit Holzschwertern
und Spießen miteinander kämpfen oder dem Bogenschießen
obliegen sehen. Auch das Jiujitsu wird hier gepflegt.
Sehr hübsch liegen die zahlreichen einfachen Gebäude der
Universität in Gartenanlagen am bewaldeten Yoshidayama, von
dem aus man eine prächtige Aussicht ins Kamogawa- und Takano-
gawa-Tal hat. Der nahegelegene zoologische Garten hat nur
mäßige Bedeutung.
Eine sehr nützliche Anlage ist der Biwaseekanal, der Schiffe
nach Kyoto führt und zugleich elektrische Kraft für die städtische
Beleuchtung und Triebkraft für viele industrielle Werke liefert.
Für Personen aber ist die Fahrt unbequem. Sie dauert eine
Stunde. Man muß der Matten wegen die Schuhe ausziehen und
sich unter das niedere Dach des Bootes kauern, welches während
20 Minuten einen wenig hohen Tunnel beim Scheine von Lampions
passiert.
Auch Kyogoku, die Kyoter Theaterstraße, ist sehenswert.
Sie ist enger als solche in anderen Städten und zum Teil überdacht
. In ihr befinden sich drei größere Theater, zahlreiche
„Kintöppe" und Unterhaltungstempel aller Art, Teehäuser und
Läden. Jeder Fahrverkehr ist in ihr verboten. Abends wirkt die
sie durchflutende Lichtfülle wahrhaft blendend, und es herrscht
dann ein lebhaftes Gedränge in ihr, da abendliche Zerstreuungen
ja außerhalb derselben nicht geboten sind.
Noch einer Besonderheit Japans muß ich gedenken. Das
sind die Zikaden, deren Gesang dort so sehr beliebt ist. Der
Fremde muß sich erst an dieses etwas eintönige Gezirpse gewöhnen
, findet aber schließlich auch, daß den Hainen und dem
Wald ohne dasselbe etwas fehlen würde. Gute Sänger werden
hochbezahlt. In kleinen Holzkäfigen sind sie überall zum Kaufe
ausgestellt und man veranstaltet öffentliche Wettsingen mit ihnen,
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