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530 Psychische Studien. XLII. Jabrg. 12. Heft. (Dezember 1915.)
wobei hohe Wetten eingegangen werden. Die harmlosen Tierchen,
denen man als Nahrung nur etwas Tau bietet, sind kurzlebig.
Jede Jahreszeit hat ihre besonderen Zikaden, die ein geübtes Ohr
rasch unterscheiden lernt.
Wenn wir nun der prächtigen Gotteshäuser von Kyoto gedenken
, so müssen wir billigerweise zuerst den Doppeltempel
Nishi-Hongwanji (d. h. westlicher Hongwanji) und die groß-
artige Tempelanlage Higashi Hongwanji (östl. H.) erwähnen.
Beide Sanktuarien, der Shin- oder Montosekte gehörig, sind der
Hauplsitz jener Bestrebungen, die, unter großem Entgegenkommen
gegenüber dem Shintoismus, unter Japans Führung die Buddhisten
ganz Asiens zu vereinigen bestrebt ist. In hellem Holz mit weißgebeizten
Kehlungen und vergoldeten Säulenkapitälen aufgeführt
, machen beide westlichen Tempel .einen überaus vornehmen
Eindruck. Der Hondo des Haupttempels trägt auf seinem Altar
ein Bildnis Amidas, daneben Inschriften mit den Namen der
Kaiser, der Altar des anderen Tempels dagegen ein Bildnis seines
Stifters Shinran-Shonin. Die Altäre zeigen reichste Vergoldung.
Fromme Beter füllen beständig die äußere Halle, während im
Allerheiligsten freundliche Priester ihres Amtes walten. Hier
atmet alles Ernst und Würde. Auch der östliche Tempel, gleich
seinem Nachbar von schönen Naturparken umgrenzt, zugleich der
größte Tempel Japans, ruht auf Holzsäulen und überragt mit
semen geschweiften Dächern alle Bauwerke der ganzen Riesenstadt
, so daß er weithin erkennbar ist. Der Altar des Aller-
heiligsten zeigt in goldenem Schrein die Statuette des Stifters,
während der kleinere, aber immerhin noch mächtige Seitentempel
auf seinem Mittelaltar die Figur des Amida trägt. Wiewohl die
östliche Tempelanlage wesentlich jünger ist als die westliche
(erstere entstammt dem Jahre 1272, letztere dem Jahre 1602),
ist sie doch schon viermal abgebrannt, aber immer schöner neuerstanden
. In der Verbindungshalle zeigt man das von geopfertem
Frauenhaar geflochtene 110 Meter lange Seil, wonu>
beim letzten Bau die ungeheueren Balken hochgehoben wurden.
Die Wände der Tempel sind vielfach mit den Bildern der Äbte geschmückt
. Die äußeren Tore weisen überaus feine Bronzearbeiten
auf.
Der im Jahre 1912 verstorbene Oberprjester des einen
Tempels hatte durch seine Verschwendungssucht und Maitressenwirtschaft
das reiche Kloster an den Rand des Abgrunds gebracht.
Trotzdem ist das Ansehen dieser Würde so groß, daß seiner
Leiche 15 000 Priester im Ornat folgten, der großartigste Zug,
den die Stadt bislang gesehen hat. Auch der Abt des andeien
Klosters, ein mit der Tochter des verstorbenen Kaisers vermählter
Graf, wirtschaftete unbesonnen und mußte vor kurzem wertvolle
Kunstschätze des Tempels verkaufen. Fromme Leute aus dem
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