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Hänig: Jolanda. Ein Gespräch über Keligionspsychologie. 555
davon ab, allein die Erinnerungen steigen noch heute manchmal
in uns empor, seltsame Erinnerungen wie aus einem Märchenland
, so daß viele nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.
T h. : Also etwas Ähnliches wie das, was du schon früher
über die religiösen Gefühle gesagt hast.
O. : Es wird wohl nicht anders sein, und wir können auch
hier wieder jenes religiöse Grundgefühl heranziehen, das, wie wir
sagten, den Untergrund bildet, auf dem sich unsere religiöse Gefühlswelt
aufbaut. Denn es äußert sich eben in uns während
unseres irdischen Daseins, indem es sich mehr oder weniger mit
jenen Gefühlen verbindet, die wir betrachtet haben, und es bringt
daher auch entsprechende Vorstellungen in uns hervor, deren Inhalt
sich im übrigen nach dem jeweiligen Kultur kreise und nach
dem Anteile richtet, den ein jedes Individuum daran genommen
hat.
P h. : Jene ältere Vorstellung von dem Schicksale der Seele
hängt natürlich mit den Anschauungen zusammen, die die Israeliten
von Gott und Welt hatten. Denn sie konnten nicht an ein Eingehen
der Seele in Gott glauben, weil sie sich ihn wie einen
Herrscher dachten und über der Erde sitzend, die seiner Füße
Schemel war. —
O. : Sie hatten eben noch nicht das Weltall entdeckt und
klammerten sich daher an jene alten Vorstellungen, indem sie
ihre eigenen Gedanken in das ihnen Unbekannte hineinlegten.
Mir fällt da eine Legende ein, die ich in einem alten Buche gelesen
habe und die etwas Ähnliches besagen will wie das, was wir
zuletzt festgestellt haben. —
T h. : Willst du sie uns nicht hören lassen ?
O. : Vielleicht könnten manche noch etwas daraus lernen.
Jolanda, die Heilige, so lautet sie, predigte den wilden Völkerschaften
an der Grenze der Wüste, und da sie anders redete, wie
diese wollten, fielen sie über sie her und erschlugen sie. Da stand
sie nun an der Pforte des Himmels und pochte. „Was willst du,
Jolanda?" sprach der Heilige, dem der Eingang zum Himmel zur
Bewachung gegeben war. „Ich will in den Himmel zu Gott,**
sprach sie, „damit ich von ihm den Lohn für meine Taten empfange
/* — „So gehe wieder zurück auf die Erde, Jolanda,**
sprach der Heilige, „und predige wieder den Heiden und laß dich
von ihnen töten. Denn was wäre dir geschehen, wenn du das Angesicht
Gottes erblicktest? Du würdest vor seinem Glänze erbleichen
wie der Schmetterling, der sich seine Flügel an dem
Lichte verbrennt, nach dem er geflogen ist, und was würde aus
deinen Verdiensten und ihrer Belohnung werden, wenn du geblendet
von jenem Glänze und vor ihm erblichen wärest?" —
Würde nicht jenes Allselbstbewußtsein vielmehr die Erfüllung
dessen bedeuten, was wir in unserem Leben hoffen und ahnen»
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