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556 Psychische Studien. XLII. Jahrg. 12. Heft.' (Dezember 1915.)
wenn wir unsere Blicke auf die entferntesten Himmelskörper
richten oder auf das, was sich einst vor Tausenden von Jahren
abgespielt hat im Weltall?
T h. : Vielleicht könnten wir aber auch bei jenem ersten
Falle vom Erleben, nämlich dem, den uns Goethe berichtet, das
Gefühl der Mystik zu Hilfe nehmen?
0. : Das scheint mir nicht ganz unmöglich, aber die meisten
dieser Berichte, die wir darüber haben, weisen doch eben auf eine
ganz andere Entstehung dieser Vorgänge hin. Und ein gewisser
Zusammenhang scheint doch auch hier zwischen beiden zu bestehen
. — Auch jenem Unendlichkeitsgefühl wiesen wir ja trans-
szendenten Ursprung zu, wie dem mystischen Gefühle. — Wie
kommst du aber auf diesen Einwand?
P h. : Ich glaube wohl, daß er damit für seine Anschauungen
noch einen kleinen Gewinn herausschlagen wollte. Er wollte wohl
sagen: wenn es möglich ist, daß die menschliche Seele jener
göttlichen Glückseligkeit inne wird, der ein göttliches Wissen entspricht
, müßte dann nicht in jenem Augenblick auch jenes Wissen
der Seele bewußt werden?
T h. : Derartige Gedanken habe ich allerdings auch gehabt.
0. : Also etwas Ähnliches, als wenn nach der Meinung der
Theosophie die Seele durch Intuition der göttlichen Weisheit inne
wird, wenn sie alle ihre Gedanken auf das Ewige in ihr gerichtet
hat.
T h. : Das ist allerdings etwas Ähnliches.
0. : Es wäre theoretisch nicht unmöglich, aber wie wollte
dann ein Mensch, der sich in jenem Gefühlszustand befindet, nachweisen
, daß ein Satz seines Glaubens, zu dessen Bejahung ihn in
diesem Augenblick sein Gefühl zwingt, aus dem entsprechenden
göttlichen Bewußtsein kommt und nicht aus seinem eigenen
Unterbewußtsein ?
Th. : Wenn er einen Satz erlebte, der gänzlich über alles
hinausginge, was er bis dahin erfuhr und gedacht hat, könnte
dieser wohl nicht dem Unterbewußtsein zugewiesen werden. —
0. : Wenn es aber einer der ihm bekannten Glaubenssätze
wäre?
T h. : Dann könnte er wohl auch aus dem Unterbewußtsein
gekommen sein. —
0. : Was ist aber ein Satz seines Glaubens anderes als
etwas, was seit seiner Kindheit beständig in seinem Bewußtsein
gewesen ist? Und erleben die Menschen nicht immer das, wozu
sie eine angeborene religiöse Neigung führt, oder die Einwirkungen,
denen sie in religiöser Hinsicht ausgesetzt waren? Der gläubige
Christ die Glaubenssätze der Bibel, der Theosoph die Anschauungen
seiner Lehre, während der Spiritist seine Meinungen in seinem
innersten Herzen wiederzufinden glaubt? Ich raeine also, daß
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