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Ludwig: Propheten des nahen Weltgerichts.
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pheten** Lorber. Derselbe war Musiker in Graz, der sich schlecht
und recht durchs Leben schlagen mußte. Eines Tages vernimmt
er in sich „die Stimme des Herrn" (in Wirklichkeit die Äußerungen
seines unbewußten Seelenlebens), die ihm die letzten Jahre
seines Lebens hindurch eine lange Reihe von „Offenbarungen" zuteil
werden läßt. Freimark4) sagt davon sehr richtig: „Der
flache und platte Stil, in dem diese Dinge vorgetragen werden,
sucht vergeblich durch Anlehnung an die biblischen Berichte die
überwältigende Sprache der Bibel zu erreichen. Die Niederschriften
sind Produkte eines religiös exaltierten Geistes, der das Dasein, die
Weltgeschichte, seine eigene Zeit und die früheren Jahrhunderte
in Christus spiegelt und der die Reflexe in weitschweifigen Ergüssen
auf das Papier bannt** . . . Als seiner Hand der Griffel
entsank, machte sich Mayrhofer an die Fortsetzung des von ihm
begonnenen Werkes und als auch diesen der Tod abrief, fühlte
sich die Bietigheimerin5) Johanna Ladner als „Magd des Herrn"
bewogen, ihre schwache Kraft der Schreibarbeit zu widmen. Eine
umfangreiche Sammlung nicht eben schmächtiger Erbauungsbücher
ist auf diese Weise zu Stande gekommen. Es handelt sich
also hier um ein in der Geschichte des Mediumismus sehr häufig
vorkommendes Phänomen: das ekstatische Schreiben, das von
Unkundigen auf Rechnung göttlicher Inspiration geschrieben wird.
So macht auch gegenwärtig eine Frauensperson zu Schippach
im Spessart viel Aufsehen, die als echtes Schreibmedium ihre
„Offenbarungen** zu Papier bringt und viel gläubige Anhänger
selbst unter jenem Teil des Klerus findet, der sich nie mit dem
Studium der okkultistischen, psychiatrischen und psychoanalytischen
Literatur beschäftigt hat. Die „Offenbarungen** Lorbers
nun sind dem ehemaligen Priester Feuerstein ein neues Evangelium.
Doch hat er auch selbst schon die Einwirkung des göttlichen
Geistes an sich erfahren, als er 1911 „gedrängt** wurde, seine
Schrift zu verfassen: „Sozialdemokratie und Weltgericht**, wo
er „an der Hand der Heiligen Schrift und der Zeichen der Zeit
den Nachweis führte, daß das Weltgericht unmittelbar vor der
Tür stehe.**6) In Wirklichkeit war es ohne Zweifel der Geist der
Lorber'sehen und Mayrhofer'sehen Schriften, der ihn inspirierte.
Deren Schriften sollen übrigens „nach dem Willen des Herrn** vorläufig
noch nicht in die breite Öffentlichkeit kommen, sondern nur
einzelnen Wahrheitsfreunden kundgegeben werden.7) Danach
4) „Moderne Theosopben", Leipzig 1912; vrgl. dazu die letzten
Jahrgänge der „Psychischen Studien/
5) Bietigheim a. E. in Württemberg.
6) Seit der „Einkreisung* Deutschlands wurde ja der Weltkrieg
wiederholt von „Sehern" und „Seherinnen* prophezeit.
7) Ganz wie bei der Sehippacher Prophetin und anderen ähnlichen
aftermystischen Schriften I
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