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8 Psychische Studien XL1II. Jahrgang. 1. Heft. (Januar 1916.)
Sinne reden kann. Es hat sich nämlich für den Jnarifuchs eine
typische Form herausbildet, die in der Stellung, in der Paarigkeit,
in den beigegebenen symbolischen Gegenständen, in der in eine
Flamme auslaufenden Schwanzform ihren charakteristischen Ausdruck
gefunden hat.
Die List, mit welcher der Fuchs seine Beute zu erhaschen
und sich allen Nachstellungen des Jägers zu entziehen weiß, hat
ihn wohj in der ganzen Welt in den Geruch eines überaus klugen
Gesellen gebracht. Feiert der europäische Dichter seine Schliche
in dem Heldenepos „Reinecke der Fuchs'*, so glaubt der asiatische
Bauer, daß er durch seine Klugheit sein Leben auf tausend Jahre
bringen könne. Darüber hinausgehend aber sieht die japanische
Volksvorstellung im Fuchs ein dämonisches Wesen. Dies zeigt
sich in Nichts deutlicher als in dem den Arzt wie den Psychologen
gleichermaßen interessierenden „Kitsum tsuki'\ d. h. der Besessenheit
durch einen Fuchs. Ein derartiger Zustand, welcher durchaus
an den Werwolf der alten deutschen Sage erinnert, kommt in
Japan sowohl sporadisch, als auch in Form von Epidemien vor.
Die davon Befallenen wähnen sich von einem Fuchs besessen, der
sie zwingt, sich ganz wie ein Fuchs zu benehmen: zu kratzen, zu
beißen, rohe Nahrung zu verschlingen, auf allen Vieren herum-
zuhüpfen u. s. f.
Aus diesen und ähnlichen Zügen folgt, daß, wenn der Fuchs
als Bote und Begleiter Jnaris gilt, er nicht als das erste beste Tier,
sondern als ein mystisches, als ein heiliges Wesen gedacht ist.
Auch viele einzelne Gräber und mehrere Kirchhöfe, indes
auch sehr willkommene Erfrischungshäuser gibt es in dem weiten
Tempelbezirke. Denn die Anhöhen sind zum Teil sehr steil, die
Aussichten von den Gipfeln aber auch überaus lohnend. Überall
zur Seite der Pfade stößt man auf ins Erdreich gesteckte Gebetfähnchen
und vor den zahllosen Altären auf so reichliche Opfergaben
, daß sich hier Hunderte von Menschen völlig ungestört sattessen
könnten. Aber auch der Ärmste würde es nicht wagen,
etwas einem Gott Geweihtes zu berühren.
In diesem kaiserlichen Tempel zweiter Ordnung hatte ich Gelegenheit
dem großen Tempelfest beizuwohnen. Es galt der Übertragung
des Gottes in einen etwa eine Stunde entfernten Schrein,
den er alljährlich einmal besucht. Fünf herrlich geschmückte Palan-
kine, alle mit dem kaiserlichen Abzeichen versehen, standen dieser-
halb bereits auf dem Podium der großen Tanzhalle. Bald nach
1 Uhr mittags begannen die Feierlichkeiten, zu denen sich ein endloses
Publikum eingefunden hatte. Alle Welt hatte den kostbarsten
Staat angelegt. Im Haupttempel saßen die Priester in
schlichten Seidengewändern von roter, blauer, jedoch meist von weißer
Farbe. Die Tempeldiener waren in rot und grün gekleidet. Zuerst
segnete der Oberpriester seine Kollegen mit einem Papierwedel,
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